Wir befinden uns im Jahr 2020. Das ganze Karwendel ist an schönen Tagen von den Münchnern besetzt … Das ganze Karwendel? Nein! Ein einzelner Gipfel neben dem Weg zum Sonnjoch wird immer noch konsequent ignoriert und gilt nicht einmal als Geheimtipp!
Inhalt
Endlich mal ein gehaltener Vorsatz
Seit diesem Jahr fährt der Bergsteigerbus an den Wochenenden deutlich häufiger in die Eng. Der Vorsatz, diese Gelegenheit ausgiebig zu nutzen, war im Winter schnell gefasst. Trotz meines späten Starts in die Bergsaison klappt die Umsetzung: ich steige an diesem Augustmorgen bereits zum wiederholten Mal in diesem Jahr in Lenggries in den Bergsteigerbus in die Eng: nach dem Besuch von Gamsjoch und Fleischbank steht mit dem Gramaijoch die dritte Tour in der Region auf dem Programm.
Zunächst auf vertrauten Wegen in Richtung Sonnjoch
Von der Endhaltestelle des Busses am Gasthaus Eng verstreuen sich die Mitfahrenden schnell und zielstrebig in alle Richtungen: die meisten dort beginnenden Touren sind lang und keiner scheint wertvolle Zeit an diesem heißen Sommertag verlieren zu wollen. Ich schlage den Weg zum Sonnjoch ein, das ich im letzten Jahr erstmals besucht habe. Auf vertrauten Wegen geht es angenehm rasch hinauf zur noch geschlossenen Binsalm. Oberhalb der Almflächen beginnt ein kleiner Steig, der in den faszinierenden Binssattel leitet. Eigentlich ist der Übergang unspektakulär und alpinistisch kaum der Rede wert, aber durch eine Latschengasse scheint er direkt auf das Sonnjoch zuzuführen.
Im Vorjahr begeisterte mich diese Passage, so dass ich zunächst weder nach rechts noch links schaute, sondern sofort weiter zum Sonnjoch lief. Erst am Rückweg fiel mir der westlich vom Binssattel gelegene kleine Gipfel auf, der an einer günstigen Stelle zwischen verschiedenen Berggruppen liegt: das Gramaijoch.
Wenige Meter jenseits des Binssattels beginnt die Einsamkeit
Heute ist alles anders – und das Gramaijoch das Tagesziel. Ein kleiner Steig zweigt im Binssattel ab und gewinnt zunächst nur langsam an Höhe. Bald verläuft sich der Steig, aber über immer wieder gut erkennbare Spuren steige ich zügig hinauf zum Grat. Dort angekommen scheint mir der Gipfel bereits zum Greifen nah zu sein. Für einige Meter folge ich der schmalen Kammhöhe, auf der sich bald wieder ein guter Steig ausbildet. Dieser dreht allerdings noch eine nicht vorhergesehene Extrarunde durch enge Latschengassen. Ich nehme mir mal wieder vor, zumindest zukünftig für Touren auf vergessenen Steigen die Gartenschere mitzunehmen. Heute allerdings gilt es noch einmal ohne auszukommen.
Oberhalb der Latschenzone ist der restliche Aufstieg rasch erledigt: zwar darf ich an einem schrofigen Aufschwung noch ein, zwei Fingerkuppen an den Fels legen, aber dann ist einer der einsamsten Gipfel im weiten Umkreis bereits erreicht. Wie erhofft ist das Panorama trotz der geringen Gipfelhöhe durchaus umfassend: die umliegenden, bekannten Gipfelziele lassen sich gemütlich im Gras liegend studieren. Ein schöner Ort zur Planung der nächsten Touren vor Ort!
Am Hahnkampl ist deutlich mehr los
Die bisher kurze Tour verlangt an diesem schönen Sommertag natürlich nach einer Verlängerung. Da trifft es sich gut, dass mit dem Hahnkampl ein weiterer Gipfel in direkter Nachbarschaft liegt. Nach dem Abstieg in den mittlerweile etwas belebten Binssattel steige ich zügig zum nächsten Gipfel hinauf. Obwohl vom Gramaijoch der Hahnkampl gut besucht schien, sind erfreulicherweise viele Gipfelstürmer bereits wieder auf dem Weg ins Tal. Dennoch fühlt sich der Gipfel im Vergleich zum einsamen Gramaijoch fast schon überlaufen an.
Nach einer halben Stunde wird’s dann aber auch am Hahnkampl ruhiger. Ungestört starte ich eine ausgiebige Fotosession. Ich versuche, mich an das im Fotokurs gelernte zu erinnern und ganz besonders in Heinz Zaks Sinne nicht zu viel Himmel zu fotografieren.
Abstecher zur Lamsenjochhütte
Der Abstieg ins (westliche) Lamsenjoch ist im felsigen Gelände sehr anregend, auch wenn technische Schwierigkeiten nicht vorkommen. Als der Steig im grasigen Gelände schließlich ausläuft, fällt mir der Abschied von der tollen Passage schon fast schwer. Im Joch angekommen ist die restliche Distanz zur Lamsenjochhütte bereits übersichtlich. Ein Blick auf die Uhr: die Zeit reicht für einen kurzen Abstecher und eine Einkehr auf der sonnigen Hüttenterrasse. Neben einem kühlen Spezi lohnt sich der Besuch ganz besonders Dank des tollen Blicks auf das eindrucksvolle Lamsenjoch.
Der Abstieg zurück in die Eng ist überaus unspektakulär. An der Binsalm ist nun aber deutlich mehr los. Eine Musikgruppe aus Garmisch-Partenkirchen unterhält die zahlreichen Touristen. Von Abständen und Alltagsmasken ist jedoch auf den restlos überfüllten Bänken nichts zu sehen. Zweite Welle, ick hör Dir trapsen?!
Fazit
Das Gramaijoch besticht durch eine abwechslungsreiche Aussicht und die überaus ruhige Lage in einem von Tagestouristen viel besuchten Teil des Karwendels. Besonders gut gefällt mir die Flexibilität, die eine Tour zum Gramaijoch mit sich bringt: Einerseits lässt sich die Tour bei guten Bedingungen mit einem Besuch von Sonnjoch oder Hahnkampl leicht verlängern. Auf der anderen Seite ermöglicht der vergleichsweise kurze Anstieg aus der Eng auch einen Besuch im Hochsommer, wenn die nachmittägliche Gewittergefahr keine größeren Unternehmungen zulässt.
Tourendatum: 08. August 2020
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