Berg-Ge(he)n

Fast bis auf die Rappenklammspitze

Nach der kurzen und gemütlichen Tour über die Wilden Fräulein zum Jägerkamp am Vortag wird es zum Ausgleich wieder einmal Zeit, mit dem Bergsteigerbus in Richtung Karwendel zu fahren. Auch wenn ich mich Gipfel für Gipfel langsam vorarbeite, bleiben mehr als genug für mich neue Ziele übrig: heute stehen mit der Rappenklammspitze sowie der Wechselspitze gleich zwei weitgehend unbekannte Gipfel auf meinem Programm.

Nette Gespräche bis zur Rontalalm

An den beiden Vortagen konnte ich mir einen späten Start für meine Touren im Mangfallgebirge erlauben. Heute ist allerdings Samstag – und da heißt es, den Massen mit einer frühen Anreise ins Karwendel aus dem Weg zu gehen. Ich sitze somit bereits um 6.00 im Zug nach Lenggries. Die Anzahl der Mitreisenden ist recht übersichtlich, der größte Teil von ihnen ist ohne jeden Zweifel so müde wie bergaffin. In Lenggries steht der Bergsteigerbus in Richtung Eng bereit – und fast alle Mitreisenden wechseln erwartungsgemäß das Verkehrsmittel. Während ich warte in den Bus einsteigen zu dürfen, wird eine einsame, sportliche Autofahrerin auf dem Bahnhofsvorplatz immer nervöser: offenbar taucht ihre Verabredung nicht auf. Erst als ich bereits im Bus sitze, verlässt ein letzter Fahrgast den jeden Moment ins Depot einrückende Zug und wird fast schon erleichtert in Empfang genommen. Sobald der Bus losfährt, vergesse ich die Szene schon wieder und freue mich auf den schönen Bergtag.

In Hinterriß ist es so früh am Morgen noch sehr frisch. Ich wähle also gleich ein zügiges Tempo und auf den ersten steilen Forstwegrampen ins Rontal wird mir bald warm. Nach ein paar Kehren bin ich überrascht, als ich das ungleiche Paar vom Lenggrieser Bahnhof vor mir sehe. Kurz darauf hole ich sie auch bereits ein – und bin gespannt auf die Geschichte, warum er fast den Ausstieg verschlafen hat. Er hüllt sich in Schweigen, aber wir kommen trotzdem ins Gespräch: die äußerst sportliche und bergbegeisterte Julia nimmt Michael heute auf seine erste Bergtour mit! Als sich Michael allerdings etwas skeptisch äußerst, dass die abschnittsweise in den Berg geschnittene Forststraße auf seiner rechten Seite zügig in vermeintlich steiles Gelände abfalle, frage ich Julia nach ihrem heutigen Ziel – und bin nicht wenig erstaunt, dass sie den Torkopf ausgesucht hat. Ich habe den Eindruck, dass Michael erst an meinem skeptischen Blick erahnt, was ihm heute bevorstehen wird. An der Rontalalm trennen sich wenig später unsere Wege – ich wünsche Julia viel Spaß und Michael viel Glück – und drücke ihm die Daumen für die ausgesetzten Passagen!

Ausgesetzte Passagen an der Rappenklammspitze

Meine für heute geplante Tour über die Rappenklammspitze und Wechselkopf hat Julia mit ihrer bergbedingten 60 %-Teilzeit selbstverständlich bereits einmal absolviert und stimmt mich auf einen herausfordernden Tag ein: es wäre gut, die Rappenklammspitze zu besteigen, bevor sie endgültig zerbrösele. Na, da steigt meine Vorfreude nicht unbedingt ins Unermessliche. Aber bevor es soweit ist, stehen mir noch einige Höhenmeter in einfachem, aber zügig ansteigendem Gelände bevor. Geduldig folge ich den zahlreichen Serpentinen eines alten Almsteigs, der durch einige Abschneider stellenweise stark erodiert ist. So richtig verstehe ich die Notwendigkeit für die Abschneider nicht, denn der ursprüngliche Almsteig ist ausgezeichnet angelegt und mehr als bequem zu gehen.

Oberhalb der Rontalalm wird die Aussicht langsam besser

Unterhalb des Hochalplkopf wird das Gelände flacher und ich suche mir auf der weiten Almfläche einen schönen Pausenplatz. Endlich Frühstückszeit! Ich habe aber die Rechnung ohne die Kühe gemacht, die zunächst gemächlich in meine Richtung schlendern. Als ich in meine Semmel beiße, setzen zwei Kühe zu einem mittleren Sprint an – und ich packe mal lieber wieder zusammen und suche mir einen ungestörteren Pausenplatz in den nahen Latschen: offenbar habe ich mich auf dem Lieblingsweideplatz der tierischen Vorhut niedergelassen, denn die beiden Kühe grasen wenig später genau dort, wo ich zuvor noch saß. Gibt es etwa auch in der Fauna Futterneid?

Der Kamm zum Ronberg ist sanft geschwungen

Gestärkt mache ich mich auf den weiteren Weg zur bereits nahen Rappenklammspitze. Allzu viele Höhenmeter sind es auch nicht mehr, der Steig bleibt aber zunächst auf ungefähr gleicher Höhe. Direkt unterhalb des Gipfelaufbaus geht es dafür umso steiler aufwärts. Der von Julia angekündigte bröselige Charakter der Rappenklammspitze zeigt sich wenig später: spätestens am gratartigen Übergang zum finalen Gipfelaufschwung erkenne ich sehr deutlich, was sie gemeint hat. Zwar gibt es auch eine schmale, fast schon grazile Felsnadel neben dem eigentlichen Gipfel, aber unter meinen Füßen wird es immer rutschiger.

Alles bröselt, die Nadel steht?!

Am Übergang endet dann auch der eigentliche Steig und mir ist nicht ganz klar, wie ich den Gipfel erreichen soll. Einerseits sieht der bandartige, aber geneigte Übergang zu einer rutschigen Rinne übel ausgesetzt aus. Der rollsplitartige Belag dieser Passage lädt bei einem Fehltritt zweifelsohne zu einem nicht mehr zu bremsenden Absturz in die Tiefe ein. Andererseits könnte ich direkt ein Stück splittrigen Fels hinaufklettern und dabei schaurige Tiefblicke auf gleich beiden Seiten genießen. Technisch ist das sicherlich problemlos machbar, aber es bleibt zumindest von meiner Perspektive aus unklar, ob und wie es dort weitergehen könnte. Und da andere Gipfelaspiranten nicht in Sicht sind, die vielleicht die dringend benötigte Ortskenntnis haben könnten, verzichte ich gar nicht schweren Herzens auf die letzten Höhenmeter zum Gipfel: ohne Begleitung ist mir diese Passage heute schlicht viel zu heikel.

Tja, lieber direkt hoch – oder doch über das schmale Band?

Umkehr am Hölzelkopf

Da passt es ganz gut, dass ich für die Passage zum Wechselkopf die Rappenklammspitze nicht überschreiten muss. Ich gehe also zurück bis zum bereits im Anstieg entdeckten Abzweig in Richtung Wechselkopf. Der schmale Steig ist mal mehr, mal weniger von Latschen überwuchert und teilweise in einem dürftigen Zustand. Um eine Felsnase herum arbeite ich mich in die Scharte zum Hölzelkopf hinab, den ich kurz darauf in einem steilen Aufschwung erreiche – und auf dessen breitem Gipfelrücken ich die nächste Essenspause einlege: der leicht erhöhte Adrenalinpegel an der Rappenklammspitze hat mich längst wieder hungrig werden lassen!

Die Soierngruppe gefällt mir aus allen Perspektiven

Nach der Brotzeit studiere ich die Karte, lese noch mal in einigen Beschreibungen nach und erkunde den unmittelbar vor mir liegenden Steig zum Wechselkopf. Ich überlege ein wenig hin und her – und entscheide mich schließlich gegen den geplanten Tourenverlauf: die ausgesetzten Passagen an der Rappenklammspitze wirken noch nach und der ausgesetzte Übergang direkt am Fuß des Wechselkopfs dürfte wohl kaum schöner werden. Ich packe also langsam wieder zusammen und mache mich an den Rückweg.

Pause mit Aussicht – zurück zur Rappenklammspitze

Der Ronberg ist eine willkommene Alternative

Zurück in den Sattel und durch das Latschengestrüpp wieder hinauf erreiche ich wieder den Fußpunkt des Gipfelaufbaus der Rappenklammspitze. Endlich wieder auf einem ordentlichen Steig schlendere ich gemütlich weiter zu den Almwiesen. Die Kühe grasen wieder weit verstreut (es ist allerdings auch niemand mehr da, der die besten Weideplätze als Brotzeitplatz missbrauchen könnte!) und ungestört kann ich mich an den weglosen, jedoch sehr einfachen Anstieg zum Hochalplkopf machen. Wenigstens ein Gipfel muss an diesem Bergtag schon drin sein!

Diese Kuh ist wenigstens nur neugierig …

Etwas überraschend zeigt sich der Hochalplkopf als ein welliges Gipfelplateau mit einer schönen Rundumsicht. Natürlich vor allem zur nahen Rappenklammspitze, aber auch der benachbarte Ronberg lädt zu einem Besuch ein: ein Blick auf die Karte lässt einen Verbindungssteig erahnen, der unterhalb des Hochalplkopf hinüberführen soll. Der neue Plan gefällt mir gut, ich mache mich natürlich gleich mit neuer Energie auf den Weg.

Durch den Wald sollte ein Steig zum Ronberg führen – zumindest laut Karte

Den Steig entdecke ich beim Abstieg nicht – und so folge ich dem erstbesten Kuhpfad in den Wald hinein. Immer wieder durch’s dichte Unterholz, später zurück auf der Kammlinie finde ich gelegentliche Steigspuren und erreiche etwas zerzaust, aber wohlbehalten den nahezu gipfellosen Ronberg. Das Panorama ist nicht überragend, besonders gut gefällt mir aber der Blick über die Ronalm zum Schafreiter. Hier fühle ich mich nicht wie in den ansonsten so vielbesuchten Münchner Hausbergen – so einsam dürfte es in weitem Umkreis nirgends sein?

Der Grat zur Krapfenkarspitze wäre auch mal eine Tour wert, oder?

So unauffällig der Ronberg auch ist, so faszinierend ist das von Gräben zerfurchte Gipfelplateau: ich tippe auf einen kalkhaltigen Gipfelaufbau. Meine Geologiekenntnisse sind jedoch bestenfalls rudimentär, so dass ich nicht einmal alternative Erklärungsversuche in petto habe. Ich freue mich insgeheim auf meine Rentnerzeit und die damit verbundenen universitären Angebote für seniore, aber dennoch wissbegierige Mitbürger.

Vom Wasser ausgewaschene Kalkflächen?

Abstiegshatscher über fast 10 Kilometer …

Von der Ronalm führt laut Karte ein Steig auf direktem Weg ins Tal zur Rontalalm, wo ich mich heute morgen von Julia und Michael getrennt habe. Nach dem Abstieg zur Almfläche kann ich diesen aber nicht entdecken, obwohl ich schließlich sogar mittels GPS versuche, genau auf dem Steig zu bleiben. Weglos durch den steilen Wald in mir unbekanntem Gelände abzusteigen traue ich mich heute nicht, so dass ich schweren Herzens zurück zur Ronalm gehe: es gibt zwar eine zeitgemäße Fahrstraße ins Tal, aber die zieht sich über viele Kilometer: bis nach Hinterriß sind’s überschlagsweise mindestens acht, vielleicht sogar zehn Kilometer. Und der nächste Bus fährt in 1:45 Stunden. Und so heißt es, wie schon einige Wochen zuvor am Rückweg vom Seeberg: Kopf aus, Füße an. Wenigstens geht’s ab jetzt nur noch abwärts …

So langsam fühle ich mich als Kuhbespaßer …

Kurz vor Hinterriß kann ich mich etwas entspannen: ich werde den Bergsteigerbus problemlos erreichen, es bleiben sogar noch fünf Minuten Puffer. Ich werfe einen Blick in den Außenbereich des Gasthofs zur Post, kann Julia und Michael aber leider nicht entdecken: zu gerne hätte ich noch erfahren, wie Michaels erste Bergtour am Torkopf ausgegangen sein mag!

Fazit

Die geplante Tour hat so gar nicht geklappt, ich habe aber mit dem Hochalplkopf und Ronberg zwei mir noch völlig unbekannte Gipfel entdecken dürfen. Ein Hauch von Abenteuer und ein intensives Konditionstraining in einer einsamen Gegend – direkt über dem vielbesuchten Rißtal. Wer hätte das gedacht?

Für Hinweise zu den letzten Metern bis zur Rappenklammspitze wäre ich sehr dankbar, ich möchte die ursprünglich geplante Tour ja schließlich noch einmal probieren. Vielen Dank für hilfreiche Kommentare!

Tourendatum: 4. September 2021

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert