Die ersten Novembertage haben in diesem Jahr nur allerbestes Bergwetter im Gepäck. Als Tagesziel habe ich mir den Schellkopf vorgenommen, der mir schon zwei Monate zuvor auf dem Weg zur Schellschlicht positiv aufgefallen ist. Aber wie heißt es schon in der Dreigroschenoper so schön: „Mach nur einen schönen Plan, sei nur ein großes Licht! Mach noch einen zweiten Plan – funktionieren tun sie beide nicht!“
Inhalt
„Die Regionalbahn nach Reutte in Tirol fällt heute aus“
Pünktlich stehe ich um 6:20 auf einem zugigen Gleis des Münchner Hauptbahnhofs, das mit klammen Finger gelöste Werdenfels-Ticket im Portemonaie. Normalerweise wird um diese Zeit bereits der Zug in Richtung Garmisch-Partenkirchen und Reutte bereitgestellt. Heute nicht. Schließlich ist die Abfahrtszeit 6:32 erreicht und immer noch kein Zug in Sicht. Zwanzig müde Gestalten versuchen sich in der morgendlich eisigen Kälte auf dem Bahnsteig warmzuhalten. Endlich eine Durchsage, doch sie verheißt nichts Gutes: mein Zug fällt ersatzlos aus.
Guter Rat ist teuer: der nächste Zug nach Griesen fährt erst in 2 Stunden, was jedoch einen sehr späten Start bedeuten würde. Durch mein Werdenfelsticket bin ich in Bezug auf Ausweichziele eingeschränkt, ein Bayernticket wäre jetzt natürlich deutlich praktischer. Ich entscheide mich zunächst mit dem nächsten Zug bis zu dessen Endstation Weilheim zu fahren: einerseits bin ich damit wenigstens schon mal unterwegs, andererseits kann ich mich aufwärmen und mir in aller Ruhe Gedanken für ein alternatives Ziel machen. Auf der Höhe des Starnberger Sees erinnere ich mich an meine eigene Tourenempfehlung für diesen November: ich werde also auf den Schafkopf gehen!
Auf der Anzeigetafel in Weilheim entdecke ich, dass mein ursprünglich geplanter Zug nun doch in München losgefahren ist. Dessen Verspätung wird zwar beständig größer, aber kann ich vielleicht doch noch nach Griesen fahren und den Schellkopf besteigen? Als der Zug mit 60 Minuten Verspätung in Weilheim einfährt, zerschlägt sich diese Hoffnung rasch: anstelle der regulären Talent 2-Garnituren steht vor mir die nicht teilbare Ersatzgarnitur aus Doppelstockwagen. Aber das reicht völlig, denn der Ausgangspunkt für die Tour zum Schafkopf befindet sich einen Halt vor Garmisch-Partenkirchen, nämlich in Farchant.
Zahlreiche Besucher auf dem Schafkopf
Als ich den Zug in Farchant verlasse, liegt die kleine Ortschaft noch im morgendlichen Schatten des Estergebirges. Aber bereits auf den ersten Anstiegsmetern erreiche ich die wärmende Herbstsonne. Gemütlich steige ich zur ersten Geländestufe hinauf und quere auf einem Forstweg nach Norden zum Fuß des eigentlichen Gipfelanstiegs. Auf dem Steig komme ich gut voran und überhole immer mehr kleinere Gruppen. Angenehm zügig erreiche ich die sehr schmale, etwas ausgesetzte Wiesenpassage direkt unterhalb des Gipfels. Aber auch heute kommt mir hier keiner entgegen – mal wieder Glück gehabt, denn ein Ausweichen ist für ein paar Dutzend Meter kaum möglich!
Wenige Minuten später erreiche ich bereits den Gipfel. Noch ist nicht viel los, es ist sogar noch die hintere Bank frei. Dort ist die Aussicht zwar nicht ganz so schön wie von der vorderen Bank gleich am Gipfelkreuz, aber für eine gemütliche Brotzeit vollkommen ausreichend. Allzu lange sitzen bleibe ich sowieso nicht, wie so häufig nehme ich bald die Kamera zur Hand.
Gegen 11 Uhr packe ich wieder zusammen und mache mich auf den Weg in Richtung Brünstelskopf. Das großartige Bergwetter möchte ich heute natürlich auskosten, da ist der Schafkopf sicherlich noch etwas zu wenig.
Herbstsonne auf dem Brünstelskopf
Die Kammwanderung zum Gießenbachsattel ist auch heute wieder wunderschön. Ganz nebenbei helfe ich gleich mehreren älteren Damen bei der Wegfindung. Während meines bald wieder einsetzenden Aufstiegs in Richtung Brünstelskopf bin ich dann aber wieder alleine unterwegs. Auch am Brünstelskreuz ist nichts los – recht ungewöhnlich an einem so perfekten Herbsttag wie heute, aber schön!
Nach einer kurzen Pause beginne ich den verbleibenden, kurzen Anstieg zum höchsten Punkt, dem Brünstelskopf. Aus den meisten Talperspektiven versteckt sich dieser Gipfel hinter dem vorgelagerten Brünstelskreuz. Dementsprechend ist dieser unscheinbare Gipfel eher selten das eigenständige Ziel einer Bergtour, sondern wird meisten im Rahmen einer größeren Runde mitgenommen. Als Kreuzungspunkt von drei Graten bieten sich interessante Überschreitungen gerade zu an. Bevor ich mir aber Gedanken um die vielen Abstiegsvarianten mache, genieße ich aber erst einmal meine Brotzeit.
Der Tag geht in die Verlängerung
Noch ist es erst (später) Mittag, ich habe also in zeitlicher Hinsicht noch einige Möglichkeiten bis zur Rückkehr ins Tal. Anfang Juli habe ich den fast vergessenen Steig oberhalb des Gießenbachtals nach Oberau ausprobiert, dort wird es heute aber sicher schattig sein. Bleiben also der Nord- und der Südwestgrat. Letzter lockt mich sehr, denn mit dem Großen Zunderkopf und dem Vorderen Felderkopf könnte ich zwei mir noch unbekannte Gipfel besuchen. Allerdings wäre der Abstiegsweg von der Ennigalm zurück ins Tal lang und ebenfalls schattig – also ebenfalls nichts für einen Novembertag.
Im Gegensatz dazu verspricht die benachbarte Notkarspitze noch eine großzügige Sonnenpause: der Abstieg zum Bahnhof in Oberau ist trotz zahlreicher Höhenmeter vergleichsweise rasch zu bewältigen. Also, auf geht’s zur Notkarspitze!
Ein Schild am Brünstelskopf weist die Gehzeit zur Notkarspitze mit 2 Stunden aus. Ich bin zuversichtlich, schneller zu sein – allerdings gestaltet sich der Abstieg zunächst fordernd: die Sonne hat die Nordflanke des Brünstelskopfs wohl schon lange nicht mehr erreicht, zahlreiche gefrorene, glatte Passagen sind unangenehm rutschig. Im Hasenjöchl erreiche ich endlich wieder die Sonne, der finale Anstieg über knapp 300 Meter beginnt.
Schon bald wünsche ich mir den Schatten zurück, denn in den Latschengassen staut sich die sommerlich anmutende Hitze. Eine kurze Hose wäre jetzt auch ganz praktisch. Aber Schritt für Schritt steige ich auf – und erreiche bereits nach einer guten Stunde die Notkarspitze. Unter sportlichen Gesichtspunkten bin ich sehr zufrieden, allerdings ist so früh am Nachmittag der mehr als beliebte Gipfel noch gut besucht. Aber ich finde ein ruhiges Plätzchen mit genügend Abstand und genieße lange die Herbstsonne.
Abendlicher Abstieg
Die ersten Grüppchen steigen bald ab, es wird immer leerer auf der Notkarspitze. Ich zögere meinen Abstieg so lange es geht hinaus, um noch möglichst viel Sonne mitnehmen zu können. Kurz vor halb vier ist es aber auch für mich soweit: um im letzten Tageslicht den Ettaler Sattel zu erreichen, muss ich nun doch langsam an den Abstieg denken.
Der nur gemächlich abfallende Grat zum Ziegelspitz liegt noch in der warmen Abendsonne, aber am Ochsenspitz erreicht die Sonne nur mehr selten den oft matschigen Steig. Wenige Minuten später geht die Sonne bereits hinter den Gipfeln der Ammergauer Alpen unter, die lange Dämmerungsphase beginnt.
Ich muss mich im steilen Abstieg vom Ochsenspitz ganz schön konzentrieren, um den durch das Laub immer wieder sehr unauffälligen Steig in der zunehmenden Dunkelheit nicht zu verlieren. Glücklicherweise ist die Generalrichtung eindeutig, ich komme gut voran. An einem winzigen Blickfenster kann ich über die Esterbergalm hinweg zur Nördlichen Karwendelkette sehen. Die Farben der untergehenden Sonne sind wunderschön!
Im allerletzten Tageslicht erreiche ich den Fahrweg zum Ettaler Sattel. Ab hier wird die Wegfindung auch bei Dunkelheit kein Problem mehr sein. Ich finde auch auf Anhieb den geplanten Karrenweg, der in den schon vollständig dunklen Einschnitt führt. Mit der Stirnlampe entdecke ich sofort den Abzweig, der mich hinüber zur Alten Ettaler Straße führen wird. Der anfänglich gute Weg wird aber immer schmaler und quert bald als Steig unerwartet steiles Gelände. Schließlich stehe ich vor einer großen Wasserleitung, die ich mangels Überblick an der erstbesten Stelle überquere. Nur im Schein meiner Stirnlampe ist das Gelände sehr unübersichtlich, aber auf der anderen Seite stehe ich zufälligerweise direkt vor dem fortsetzenden schmalen Steig – Glück gehabt. Einige Minuten später erreiche ich die Alte Ettaler Straße und somit mir vertrautes Gelände. Auf dem weiteren Weg nach Oberau kann ich mir sogar etwas Zeit lassen: die Abstiegsplanung ist prima aufgegangen, ich werde rechtzeitig zur Abfahrt des Zuges am Bahnhof eintreffen.
Fazit
Was war das für ein schöner Bergtag! Ab dem Schafkopf dachte ich zu keiner Zeit mehr an mein ursprüngliches Tourenziel, den Schellkopf, und konnte somit den ganzen Tag genießen.
Es kommt nur sehr selten vor, dass ich auf einer Bergtour so viel improvisiere. Aber es hat sich sehr gelohnt, das kaum mit Worten zu beschreibende Gefühl von Freiheit war heute besonders ausgeprägt!
Tourendatum: 7. November 2020
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