Berg-Ge(he)n

Demeljoch

Am Vorabend der Tour zum Demeljoch im Vorkarwendel bespreche ich mit Sina die Zeit und Ort für das morgendliche Treffen. Ich überlasse ihr die Entscheidung, welchen Zug wir nehmen – und bereue rasch: „Wenn ich schon früh aufstehe, dann können wir auch den ersten Zug nehmen!“

Tourenimprovisation und früher Start

Eigentlich ist für dieses Wochenende eine Tour mit dem Swiss Life Sportclub vorgesehen, das Sonnjoch steht auf dem Programm. Normalerweise wollte ich im Kontext des Sportclubs nur noch mitgehen und selbst keine Touren mehr führen. Am Donnerstag klingelt aber mein Handy – und spontan springe ich als Vertretung für den verhinderten Tourenleiter ein. Allerdings ist die Teilnehmerzahl recht übersichtlich – ich freue mich, dass Sina dabei sein wird. Mehr werden es nicht mehr werden …

Ein solch kleiner Teilnehmerkreis hat natürlich den Vorteil, dass ich mich mit Sina rasch einigen kann, nicht auf das Sonnjoch zu gehen: um alternativ das Demeljoch zu besteigen, müssen wir nur bis zum Sylvensteinspeicher fahren und benötigen darüber hinaus auch keinen aktuellen Coronatest für die Einreise nach Tirol. Einzig das frühe Treffen um kurz nach sechs am Bahnsteig am Harras erfüllt mich mit Sorge. Schließlich habe ich das morgendliche Aufstehen in den Vorwochen für die die Touren zum Grasbergköpfl und ganz besonders zum Seebergkopf als nur wenig erfolgreich in Erinnerung.

Der Wecker klingt pünktlich. Aufstehen, Duschen, Brotzeit und Getränke richten, Rucksack packen – die langjährige Routine hilft trotz der wirklich sehr frühen Uhrzeit. Ich bin rechtzeitig an der U-Bahn, überpünktlich am Harras – und warte in der Morgensonne auf Sina, die nur ein paar Minuten zu Fuß zum Bahnhof benötigt und somit deutlich länger schlafen durfte. Der Zug ist so leer wie in der Zeit und der Bergsteigerbus steht in Lenggries bereits bereit. Dank der perfekten Reisekette starten wir somit auf die Minute pünktlich in Fall.

Schneller Aufstieg

Der kleine Ort am Ufer des Sylvensteinspeichers liegt im morgendlichen Schatten. Die Parkplätze sind nahezu leer, die Münchner Tagesausflügler noch nicht eingetroffen. So idyllisch wird es wohl nicht mehr lange bleiben. Mit einem (zweiten) Frühstückssemmel in der Hand machen wir uns auf den Weg ins Dürrachtal. Dabei zweigen wir aber alsbald auf einen sehr gut angelegten, aber zu Beginn recht steilen Steig ab. In unzähligen Kehren geht es aufwärts – und Sina legt gleich mal ein ehrgeiziges Tempo vor: einige hundert Höhenmeter legen wir so in Rekordtempo zurück, die Gespräche bleiben bald auf der Strecke. Bei einer passenden Gelegenheit übernehme ich unauffällig die Führung und drossele etwas das Tempo. In der Folge deutlich entspannter steigen wir weiter aufwärts und genießen nun die sich immer wieder öffnende Aussicht über den Sylvensteinspeicher und später auch ins Karwendel.

Lange nach dem Aufbruch: ein erster Rückblick zum Sylvensteinspeicher

Überraschend schnell erreichen wir die Flanke des Dürrnbergs, an der entlang der Steig nun erstmals recht flach verläuft. Gleichzeitig bleibt hier langsam der Wald zurück, so dass wir den Wegverlauf richtig genießen können. Und dann steht bald eine erste Entscheidung an: gehen wir über das Dürrnbergjoch oder doch lieber bequem an ihm vorbei? Natürlich ist das eine leichte Entscheidung, wir zweigen also hinter dem Dürrnberg ab. Der Steig über den Kammverlauf ist deutlich unregelmäßiger als unser bisheriger Anstiegsweg, hin und wieder dürfen wir sogar eine Fingerkuppe an den oft gestuften Fels legen. Deutlich abwechslungsreicher gelangen wir schließlich zum höchsten Punkt, von dem aus wir erstmals das Demeljoch, unser Tagesziel sehen können.

Endlich taucht das Demeljoch auf!

Nach einem kurzen Zwischenabstieg steht der Endspurt an: durch lange Latschengassen kommen wir dem Gipfel beständig näher, sind aber nicht mehr so dynamisch unterwegs wie noch zu Tourenbeginn. Die Latschen blühen gerade und wir lösen so manche Pollenwolke aus. Sind wir heute die ersten auf dem Gipfelsteig?

Wie soll man hier nur richtig fokussieren?

Kurz unterhalb des Gipfels werden wir überraschend überholt. Das ist insofern ungeschickt, denn die improvisierte Gipfelbank ist dann natürlich bereits besetzt, als wir kurze Zeit später als zweite Gruppe den Gipfel erreichen. Wir finden aber dennoch ein gutes Plätzchen – nachdem wir ohne nennenswerte Gehpausen aufgestiegen sind, ist nun endlich Zeit für eine ausgiebige Brotzeit und eine wohlverdiente Rast. Und mit welcher großartigen Aussicht!

Der Karwendelhauptkamm ist eine großartige Kulisse während der Gipfelpause

Gratwanderung zum Dürrneck

Als es am Gipfel immer voller wird, packen wir wieder zusammen und beginnen den Abstieg. Da es noch keinerlei Anzeichen für ein nachmittägliches Gewitter gibt, wählen wir den langen Abstieg über das Dürrneck aus. Aber bevor wir diesen schönen Gratabschnitt erreichen können, haben wir erneut die Wahl zwischen dem einfachen Steig entlang der Flanke des Dürrnbergjochs oder dem wilderen Steig über dessen Gipfel. Selbstverständlich bleiben wir uns treu und gehen erneut über den Kamm. Der Abstieg vom Dürrnbergjoch nach Norden ist etwas anstrengender als in der Gegenrichtung, aber es ergeben sich dabei einige kurzweilige Übungen für den Abstieg mit Stöcken.

Gemütliche Steige im Abstieg

Und dann stehen wir endlich auf einem grasigen Absatz, von dem aus der Steig zum Dürrneck abzweigt. Im morgendlichen Aufstieg hatte ich den Eindruck, dass der erste Abschnitt recht wild ausfallen könnte. Aber als wir uns auf den Weg machen, stellt sich der Steigverlauf als einfach und gefällig heraus. Abwechslungsreich leitet der Steig hinüber zum nur wenig aus dem Kamm herausragenden Dürrneck. Von hier aus zeigt sich das Demeljoch als sehr beeindruckender, fast schon felsig wirkender Gipfel über den steilen nordseitigen Abbrüchen. Davon haben wir zuvor auf unserem Auf- und Abstiegsweg über die deutlich sanfteren Westflanken nur wenig gemerkt.

Durch diese Nordflanke führt sicherlich kein Steig …

Kilometerreicher Abstieg

Den nicht beschilderten Abstiegsweg zum Sylvensteinspeicher entdecken wir Dank einer halbherzigen Markierung in einer Wiese auf Anhieb. Allerdings zeigt ein Blick auf die Karte, dass unser Abzweig erst später kommen sollte. Den falschen Weg in unbekanntes Steilgelände zu nehmen wäre allerdings kaum empfehlenswert. Also folge ich dem Kammverlauf und schaue nach, ob später noch mal ein Steig abzweigt. Und tatsächlich finde ich hundert Meter weiter den eigentlichen Beginn des Steigs. Aber da nach bereits wenigen Metern ein Baum quer darüber liegt, steige ich wieder zur vorherigen Abzweigung auf, an der Sina gewartet hat. Nach einigen Metern Abstieg auf Begehungsspuren erreichen wir den quer verlaufenden Steig, der näherungsweise der durch den Baum blockierte sein sollte. In den ersten Minuten schaue ich noch zwei, drei Mal auf die GPS-Ortung: alles passt, wir sind auf dem richtigen Steig unterwegs, der bald in dichten Wald eintaucht. So bequem der vorbildliche Steig auch angelegt ist: sein Gefälle ist so gering, dass wir kilometerlang durch weite Kehren laufen. Was im Aufstieg sicherlich sehr angenehm ist, macht den Abstieg zu einer äußerst langwierigen Angelegenheit. Und so dauert es nicht nur gefühlt ewig, bis wir die lediglich 800 Meter tiefer gelegene asphaltierte Straße über dem Ufer des Sylvensteinspeichers endlich erreichen.

Endlich hören die zahllosen Kehren auf – zurück am Sylvensteinspeicher!

Rückfahrt mit Hindernissen

Auf dem anschließenden Weg nach Fall begegnen uns nun viele Ausflügler. Ich rechne damit, dass wir im ersten Biergarten keinen Platz bekommen werden. Sina stellt sich hingegen ganz fest vor, dass ein Tisch frei sein wird. Und also wir näher kommen, ist ganz klar zu erkennen: genau ein Tisch ist frei, er liegt sogar im Schatten eines Sonnenschirms! Perfekt. Und so nehmen wir einen Bus später und genießen vorher noch kühle Getränke – es ist gerade im Tal unerwartet heiß geworden.

Eine Stunde später wird es langsam Zeit, zur Bushaltestelle zu schlendern. Schon auf dem Weg dorthin sehen wir zahlreiche Autos im Stau stehen. Für die Rückreisewelle ist es noch etwas zu früh – aber ein Auto scheint in Fahrtrichtung München liegengeblieben zu sein. Noch denken wir uns nichts dabei. Irgendwann ist das vermeintlich liegengebliebene Fahrzeug aus eigener Kraft schon weggefahren, der Stau mag sich aber so überhaupt nicht auflösen. Die Minuten vergehen, der Stau bleibt. Und vom Bus ist natürlich keine Spur zu sehen. Fast eine Stunde nach der eigentlichen Abfahrtszeit taucht der Bus dann hinter der nächsten Kurve auf, fünf Minuten später rollt er gemütlich an der Haltestelle vor. Den Rest der Wartezeit vor einer Baustellenampel, die uns am morgendlichen Hinweg gar nicht aufgefallen ist, können wir immerhin auf einem gut gepolsterten Sitz verbringen. Immerhin erreichen wir Lenggries passend für die Abfahrt eines Zugs nach München …

Fazit

Der frühe Start war für mich zwar zunächst mühsam, hat sich im Tagesverlauf aber sehr gelohnt: trotz der potentiellen Gewittergefahr konnten wir ganz entspannt unterwegs sein. Angenehme Begleitung, ein schöner Gipfel weniger auf der Zu-Erledigen-Liste, viele aussichtsreiche Gratwege, glücklicherweise keine aufziehenden Gewitter – es war ein schöner Hochsommertag im oft unterschätzten, aber abwechslungsreichen Vorkarwendel!

Tourendatum: 10. Juli 2021

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