Berg-Ge(he)n

Einsamkeit am Grasköpfl

Die zahlreichen neuen, im vergangenen Jahr eingeführten Fahrtmöglichkeiten mit dem Bergsteigerbus in Richtung Eng haben auch zahlreiche Gipfel im Vorkarwendel in meinen Fokus rücken lassen. Schon drei Jahre zuvor auf dem Weg zum Schafreuter ist mir das Grasköpfl aufgefallen – und endlich ergibt sich eine Gelegenheit, diesen unbekannten Gipfel auch einmal zu besteigen.

Impfmüdigkeit?

Der Wecker klingelt um 5:30. Ich frage mich, wer am Vortag auf die blöde Idee gekommen ist, so einen frühen Zug zu nehmen. Zudem fühle ich mich, als hätte ich die Nacht durchgemacht. Irgendwie schaffe ich es rechtzeitig aus dem Bett und unter die Dusche, die mich heute Morgen jedoch kaum beleben kann. Auch die paar Minuten auf dem Rad zum Hauptbahnhof sorgen nicht für Vitalität. Erschöpft sacke ich im Zug in den Sitz. Ich zweifele, ob die heutige Tour eine gute Idee sein wird, aber jetzt habe ich das Bayern-Ticket schon gekauft. Also kann ich auch wenigstens hinfahren und es probieren. Der Anschluss in Lenggries zum Bergsteigerbus klappt perfekt, aber Kopfschmerzen stellen sich ein. Hätte ich mir doch ein paar Tage mehr Pause nach der ersten Coronaimpfung drei Tage zuvor gönnen sollen?

Einsame Fahrwege zum Grammersberg

Als ich in Fall aus dem Bus steige, bessert sich meine Stimmung gleich ein wenig: es ist nichts los, die Parkplätze sind leer und die frische Landluft tut mir gut. Langsam laufe ich in Richtung Dürrachtal – die Bewegung ist jetzt genau richtig. Noch hängen aber Schleierwolken am Himmel, es ist kühl und die Sonne kann sich nicht so recht durchsetzen. Noch bevor das Dürrachtal enger wird, zweige ich ab: ich habe offenbar einen unüblichen Anstieg rausgesucht, denn weder Markierungen noch Beschilderungen sind zu entdecken. Aber ich lasse mich davon natürlich nicht beeindrucken und steige gemütlich über gleichmäßige Fahrwege entlang der Flanke des Roßkopfs bergwärts. Als das Gelände schließlich flacher wird, erreiche ich nicht nur die Wiesalm, sondern auch wieder das offizielle Wegenetz. Das heißt jedoch nicht, dass auch die Fahrwege enden: über nicht enden wollende Rampen stapfe ich Schritt für Schritt weiter den Grammersberg hinauf.

Spannend sieht anders aus …

Als endlich der Fahrweg an der Grammersbergalm endet, ziehen auch die letzten Schleierwolken ab – Zeit für die wohlverdiente, längere Frühstückspause!

Die Sonne kommt raus, Almidylle – endlich!

Endlich Berggefühle

Mittlerweile fühle ich mich gut gestärkt und die Kopfschmerzen sind auch schon fast weg. Die Kombination aus Bewegung und Sonne tut mir sicherlich gut. Gut gelaunt mache ich mich an den weiteren Weg in Richtung Grasköpfl. Ich freue mich über den beginnenden Steig, der sich zunächst zur rechten Seite des bald beginnenden Grats orientiert. Nach einigen schönen Ausblicken über das Isartal wechselt der Steig aber auf die andere Seite der Kammlinie.

Jenseits des Isartals zeigt sich sogar der Walchensee

Dort wird der Steig bald wilder. Der spannendste Teil der Tour beginnt, denn auf der linken Seite gähnt bald der Abgrund. Ein beliebtes Einsatzgebiet der Lenggrieser Bergwacht, die hier schon öfters Verunglückte zu bergen hatte. Das zu begehende Felsband unterhalb der Pirschschneid ist allerdings nicht besonders schmal und ein solides Stahlseil bietet auch zusätzlichen Schutz. Mir gefällt’s jedenfalls sehr – ganz besonders, als nach einer Kurve im Hintergrund die höchsten Karwendelgipfel am Horizont auftauchen. Fantastisch!

Ausgesetzte Bandpassage unterhalb der Pirschschneid

Steiles Grasköpfl

Der Steig führt bald wieder in ruhigeres Gelände und kurz darauf zweigt der Gipfelabstecher ab. Dort begegne ich auch zum ersten Mal seit meinem Start in Fall wieder anderen Menschen – die Wege in diesem Teil des Vorkarwendels gehen ohne weiteres als Geheimtipp durch. Ganz und gar nicht geheim, sondern ziemlich offensichtlich ist allerdings meine geringe Kondition an diesem Tag: ich mühe mich die arg übersichtlichen hundert Höhenmeter zum Gipfel regelrecht hinauf. Zwar ist das Gelände steil, aber ich war schon mal besser in Form. Endlich oben angekommen ist das Panorama zur Belohnung vorzüglich, mir gefällt die Pause mit Blick zu den Karwendelgipfeln sehr gut.

Rückblick vom Grasköpfl über den Anstiegsweg vom Sylvensteinspeicher

Beim Blick auf die Uhr stelle ich fest: in etwa 2,5 Stunden geht in Vorderriß ein Bus. Müsste zu schaffen sein. Und da für den späteren Nachmittag Gewitter vorhergesagt sind, ist der zwei Stunden später fahrende nächste Bus auch keine echte Alternative. Ich packe also zusammen und mache mich an den langen Weg über Sattel unterhalb der Moosenalm und den anschließenden Reitsteig ins Rißtal.

Breit, breiter … Schafreiter!

Zügiger Abstieg nach Vorderriß

Die steilen Passagen machen mir im Abstieg keine Probleme und rasch stehe ich wieder auf dem Verbindungssteig. Ich komme gut voran, umrunde das Grünlahnereck und erreiche bald vertrautes Gelände im oft sumpfigen Sattel. Zügig steige ich über den zunächst noch unruhigen Reitsteig hinab und komme an der reparierten Brücke vorbei. Der Weg wird immer besser und Kehre um Kehre komme ich dem Tal näher. Gleichzeitig wird der Blick zum Grasköpfl immer besser, der mich schon vor drei Jahren so fasziniert hat: eine gewaltige Erosionsrinne zieht sich viele hundert Meter die ganze Bergflanke hinab.

Diese gewaltige Rinne zieht sich vom Grasköpfl abwärts

Als ich schließlich im Rißtal ankomme, habe ich noch fast eine Stunde Zeit, um nach Vorderriß zu laufen. Nach den ersten Metern entlang der Landstraße weiche ich allerdings aus: der starke Verkehr nervt mich heute ganz schön. Ich finde einen parallelen Forstweg, der auf einer Geländekante parallel und deutlich ruhiger auf Vorderriß zuläuft. Besonders spannend ist er allerdings nicht – und ich bin froh, als ich endlich an den Gebäuden der Bayerischen Staatsforsten ankomme. Fünf Minuten später sitze ich im Biergarten des Gasthaus zur Post in Vorderriß, am gleichen Tisch wie 8 Jahre zuvor bei einer versuchten Alpenüberquerung. Die Zeit bis zur Busabfahrt reicht noch für ein Spezi, perfekt!

Für ein kurzes Stück lässt sich die Landstraße nicht vermeiden

Fazit

Spätestens an der Grammersbergalm war ich dankbar, so früh aufgestanden und den inneren Schweinehund bezwungen zu haben. Die eigentliche Überschreitung war sehr lohnend und hat mir sehr gut gefallen, auch wenn die Fahrwege zu Beginn und zu Ende der Tour nur wenig aufregend sind.

Tourendatum: 27. Juni 2021

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