Berg-Ge(he)n

Hirschhörnlkopf – Ende eines Geheimtipps

Es ist mittlerweile schon viele Jahre her, dass ich die Jachenau für mich entdeckt habe. Meistens hatte ich sie auch für mich, denn diese sonnige Tal verläuft weit abseits der üblichen Touristen- und Ausflügerströme. Übernachtungs- und Einkehrmöglichkeiten gibt es nur wenige, die umliegenden Gipfel sind meist unscheinbar und vielen unbekannt. Früher eine Idylle – und heute, nach mehr als einem Jahr Corona?

Neue Parkplätze in der Jachenau

Die Anbindung der Jachenau mit öffentlichen Verkehrsmitteln war immer schon eher übersichtlich. Das hat sich natürlich auch in den Corona-Zeiten nicht geändert. Und so besteige ich erst um kurz vor neun Uhr morgens die BOB, die mich nach Lenggries bringen wird. Wie fast immer klappt der Anschluss an den Bus in die Jachenau bestens – ein wenig Zittern gehört hier allerdings dazu, denn an Wochenenden gibt nur eine einzige sinnvolle Fahrtmöglichkeit …

Schon an der Brauneckbahn leert sich der Bus spürbar, traditionellerweise wollen nur sehr wenige Fahrgäste in die Jachenau. Umso mehr Autos beleben die sonst so einsame Staatsstraße in die Jachenau. So richtig bewusst wird mir das aber erst auf den letzten Metern vor der Endhaltestelle: auf einer früher schönen Wiese ist ein neuer, riesiger Parkplatz eingerichtet worden. Und der ist richtig voll. Ich bin etwas schockiert: zwar war auch schon früher der alte, deutlich kleinere Parkplatz ganz gut frequentiert, aber für den kleinen Ort war das damalige Besucheraufkommen sicherlich bereits mehr als genug.

Mehr als hundert Besucher am Hirschhörnlkopf

Etwas missmutig mache ich mich auf den Weg: anstelle der erhofften Jachenauer Idylle ist es laut und überfüllt. Nur begrenzt optimistisch biege ich auf den Weg zum Hirschhörnlkopf ab. Ein sehr neues Schild weist mir und Dutzenden anderen den Weg. In einer einzigen Karawane reihe ich mich zwischen zahllosen Familien ein und nutze im bald steiler werdenden Gelände jede Möglichkeit zum Überholen. Dennoch werde ich bis zu meinem ersten Gipfelziel zu keiner Zeit den Beginn der endlosen Schlange erreichen …

Der Blick öffnet sich erst knapp unterhalb der Pfundalm

Und so ist der Hirschhörnlkopf und die darunter liegenden Flächen der Pfundalm gut besucht. Im Zählen bin ich gewohnt schlecht, komme aber überschlagsweise auf weit mehr als 100 Besucher in diesem sonst eher einsamen, vergessenen Gebiet. In weniger als zwei Jahren vom Geheimtipp zum Besuchermagneten – eine steile, fast schon bemitleidenswerte Karriere des Hirschhörnlkopfs. Auf der anderen Seite stelle ich mir aber auch die Frage, ob und warum ausgerechnet mir irgendeine Art von Privileg für einsame Gipfelerlebnisse zustehen sollte: hat nicht jeder ein Recht darauf, auch die vormaligen oder vermeintlichen Geheimtipps zu erleben?

Früher sagten sich hier Fuchs und Hase Gute Nacht …

Gewohnte Einsamkeit zwischen Kot- und Staffelalm

Nach einer ordentlichen Brotzeit mache ich an den Abstieg zur Kotalm. Obwohl der Nachmittag bereits begonnen hat, herrscht hier noch ordentlich Gegenverkehr. Erst an der Kotalm wird es ruhiger – der alte Verbindungssteig zur Kochleralm ist wie immer wunderschön, einsam und glücklicherweise noch nicht von der großen Masse entdeckt worden. Mit Ausnahme eines pannengeplagten Radfahrerpaars begegne ich hier niemandem.

An der Kotalm setzt schlagartig die Einsamkeit ein

Der Anstieg zur Staffelalm ist steiler als ich ihn in Erinnerung habe. Die zahllosen Stufen des Steigs fallen mir immer schwerer. Immer wieder muss ich Gehpausen einlegen – früher war schon mal deutlich mehr Kondition. Aber irgendwann ist auch ein kurzer Anstieg bewältigt und ich erreiche endlich die Staffelalm. Dort ist wiederum einiges los, zahllose Mountainbikes liegen in den Wiesen um das Almgebäude. Ob irgendeiner von den Fahrern wohl ahnt, dass ein Fresko von Franz Marc in der Stube zu bewundern wäre?

Im Süden zeigen sich die grandiosen Karwendelketten

Abstecher zum Rabenkopf

Der Aufstieg zum Rabenkopf beginnt moderat mit weiten Kehren über die Almwiesen. Bald kämpfe ich aber wieder mit dem steiler werdenden Gelände. Ich möchte jedoch unbedingt noch auf den Gipfel, dessen ausgezeichnete Aussicht über das Voralpenland ich schon öfters genießen durfte – und quäle mich weiter hinauf, Schritt für Schritt. Als ich oben ankomme, staune ich nicht schlecht: es ist nichts (mehr) los. Nur eine Familie mit Einzelpubertier belebt die Szenerie. Ich suche mir auf dem felsigen Gipfel ein bequemes Plätzchen und genieße das Panorama und die Nachmittagssonne.

Blick über das Schwarzeck ins Voralpenland

Noch liegt auf den Nordseiten aber so viel Schnee, dass ich zögere, meinen üblichen Abstieg über das Schwarzeck zu wählen. Ich habe etwas Glück, dass kurz vor meinem Aufbruch eine Kleingruppe von dort hinaufkommt: ihr Bericht über unangenehm vereiste Passagen lässt mich die Überschreitung verwerfen. Ich steige also wieder zur Staffelalm ab und quere hinüber zur Pessenbacher Schneid hinüber. Auf dem Steig liegt abschnittsweise auch noch sehr viel Schnee – aber er ist ordentlich durchfeuchtet und somit griffig.

Ein letzter Blick zurück zum überraschend felsigen Gipfelaufbau

Langer Abstieg nach Benediktbeuern

Auf dem langen Abstieg ins Tal bleibt der Schnee rasch zurück, spätestens ab der Orterer Alm hat sich der Frühling endgültig durchgesetzt. Die Freude darüber währt nur kurz, denn der Abstieg entlang des Pessenbachs über den unverdächtig aussehenden Karrenweg ist auch in diesem Jahr unangenehm unregelmäßig, steinig und immer wieder steil. Kurz: eine kleine Herausforderung für meine Knie. Unweit von Pessenbach erreiche ich endlich den Talboden. Leider ist der nächste Bahnhof einige Kilometer entfernt. Schon traditionellerweise entscheide ich mich auch heute für den Weg nach Benediktbeuern. Der beginnt mit einer moderaten Gegensteigung und weiteren 100 Höhenmetern, führt dann aber entlang einer wunderschöne Geländestufe oberhalb des Talbodens. Je näher ich Benediktbeuern komme, desto mehr vermisse ich die typischen Geräusche des Warmbads am Ortsrand: es ist natürlich wegen den Corona-Restriktionen noch geschlossen.

Die Nordflanke der Benediktenwand ist immer ein Blickfang

Neben dem sehenswerten Kloster ist das für mich wichtigste Gebäude in Benediktbeuern eindeutig die Eisdiele kurz vor der Querung der B 11. Deren Betreiber hat aber bereits im ersten Coronalockdown aufgegeben, so dass ich zum ersten Mal die restlichen Meter zum Bahnhof ohne leckeres Eis auskommen muss. Schade.

Fazit

So oft ich schon den Hirschhörnlkopf und den Rabenkopf bestiegen haben – beide in einer Tour war eine gelungene Premiere. Trotz der vormittäglichen Enttäuschung über den gewaltigen Ansturm auf die Jachenau wurde es noch ein richtig erholsamer und schöner Bergtag!

Tourendatum 09. Mai 2021

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