Bouldern ja, aber Klettern? Jahrelang habe ich den nächsten Schritt von den übersichtlichen Wänden zum Seilklettern weder gewagt noch überhaupt ernsthaft in Erwägung gezogen: mein Respekt vor luftiger Höhen ist schon seit Kindheitstagen sehr groß gewesen und auch in den letzten Jahren kaum besser geworden. Aber als sich die Gelegenheit bietet, mit einer erfahrenen Kletterin einen Besuch im Frankenjura zu unternehmen, kann ich nicht nein sagen: jetzt oder nie!
Inhalt
Ausrüstungskauf
Bevor es allerdings losgehen kann, bekomme ich von Maria eine Einkaufsliste. Im Münchner Sportgeschäft meines Vertrauens bekomme ich alles, was ich brauche: Sicherungsgerät und einen Karabiner. Und da wir uns beide im Frankenjura nicht auskennen, nehme ich natürlich auch einen Kletterführer für das Gebiet mit. Alleine für den südlichen Teil, in dem wir unterwegs sein werden, umfasst dieser einige hundert Seiten voller Topos. Sicherlich für die Könner genügend Stoff für einige Jahre Kletterspaß – aber für mich geht es natürlich zunächst einmal mit Tag 1 los …
Aufregung und Spannung
Sehr pünktlich fährt Maria um 8:00 vor. Im Gegensatz zu ihr bin ich bin etwas verspätet aus dem Bett gekommen und so geht es einige Minuten später los, als noch am Vorabend geplant. Schnell sind meine Sachen im Auto verstaut – und kurze Zeit später sind wir bereits auf der Autobahn in Richtung Franken. Es fühlt sich unwirklich an, das ich heute das erste Mal am Fels klettern werde. Ich bin sehr aufgeregt und durchaus (an-) gespannt – auf mich wartet ein echtes Abenteuer!
Die Wahl des konkreten Felsen überlasse ich natürlich Maria. Wirklich mitreden kann ich natürlich nicht, bin aber zuversichtlich, dass sie ein Herz für Anfänger hat. Maria wählt mit der Weißen Wand im Hirschbachtal intuitiv einen vor Ort wohlbekannten Klassiker aus, aber das werde ich erst später erfahren. Vom bereits gut gefüllten Parkplatz aus können wir den anvisierten Felsen noch nicht erkennen. Das ändert sich nach einigen hundert Metern, die Weiße Wand zeigt sich bald oberhalb der Baumwipfel – zumindest, wenn man genau hinschaut. Und wenige Minuten später stehen wir am Wandfuß. Wenig überraschend kommt die Weiße Wand größtenteils deutlich grauer daher als der Name es vermuten lässt, die Verwitterungsprozesse kennen selbst in Franken keine Gnade. Einige Kletterer sind bereits in den zahlreichen, zumeist nicht allzu schweren Routen unterwegs, aber allzu viel los ist bislang nicht.
Der Schlumpf
Mit dem Topo in der Hand orientieren wir uns erst einmal. Die Qualität der Zeichnungen ist gut und schnell stehen wir vor einem etwas vorgelagerten, sehr übersichtlichen Felsen mit ein paar einfachen Routen. An seiner linken Seite wartet der Schlumpf – eine kurze Route im IV. Grad. Aber bevor ich diese übersichtliche Kante hinauf darf, folgt erst einmal eine Einführung in die elementaren Sicherungstechniken. Meine ersten Achterknoten schauen noch ein wenig schief aus und ich zeige ein reichlich zweifelhaftes Talent dafür, zielsicher alle nicht korrekten Kombinationen von Seil, Tube und Karabiner auszuprobieren zu wollen. Marias scharfen Augen entgeht aber kein Fehler – und nach einiger Zeit ist sie soweit zufrieden. Mein Puls beschleunigt sich spürbar, es wird ernst!
Als ich Maria zuschaue, wie sie im Vorstieg die Route meistert, bin ich schon sehr beeindruckt: mit beeindruckender technischer Eleganz und traumwandlerischer Sicherheit hängt sie ganz nebenbei die Exen ein, kaum ergänzt sie am Felskopf rasch mit einer Bandschlinge die nicht optimale Umlenkung – schon kommt das Seilkommando zu! Vorsichtig lasse ich Maria die wenigen Meter hinab, mir fehlt offensichtlich noch das Gespür das richtige Tempo. Es kommt mir vor, als ob das Ablassen viel länger dauert als ihr eigentlicher Aufstieg.
Und dann ist die Reihe an mir. Dieses Mal sitzt der Achter auf Anhieb, ein kurzer Check – und dann stehe ich am Felsfuß. Die ersten 1,5 Meter sind noch sehr einfach, dann wird die Felskante interessanter. Auch wenn ich das Gefühl habe, sehr gut zu wissen, worauf ich achten muss, entpuppt sich die Praxis am Fels als deutlich schwieriger als gedacht und erhofft: im löchrigen Fels bieten sich fast schon verwirrend viele Griffmöglichkeiten an. Aber die größte Herausforderung wird an diesem Tag die immer wiederkehrende Frage sein, wo sind die besten Tritte? Meine Fußtechnik ist schon beim Bouldern in der Halle nun wirklich nicht die beste, aber dort gibt es wenigstens nicht so viele Möglichkeiten. Glücklicherweise stoppt niemand die Zeit, aber beim vielen Ausprobieren von Griff- und Trittkombinationen scheinen ganze Minuten wie im Fluge zu vergehen. Endlich finde ich Vertrauen in einen einigermaßen guten Tritt – und erreiche wenige Sekunden später bereits die finale Seilschlinge. Geschafft? Nein, noch muss ich mich überwinden und mich ins Seil setzen. Kurzentschlossen vertraue ich Maria und meinem Achterknoten – und stehe wenige Sekunden später wieder sicher und wohlbehalten neben ihr. Eine sehr einfache Route, aber was für ein Adrenalinkick!
Es gibt viel zu lernen
Während Maria die Seilschlinge am Felskopf abbaut, kehren mein Puls und Blutdruck langsam in einigermaßen normale Bereich zurück. Wir wechseln zur eigentlichen Weißen Wand und wählen im Führer eine leichte Route neben einer Verschneidung aus. Wie bereits gewohnt steigt, oder besser gesagt fliegt Maria den Blonden Engel vor. Bei ihr sieht alles so leicht und spielerisch aus – sie genießt die leichte Route regelrecht und zückt oben ihr Handy für ausgiebige Fotos vom anscheinend sehenswerten Ausblick. Diese Leichtigkeit erreiche ich auch bei dieser zweiten Route noch lange nicht. An der Schlüsselstelle tue ich mich schwer: der offensichtlich zu nutzende Tritt ist für meinen Geschmack etwas luftig positioniert und liegt außerhalb meiner Komfortzone. Es gibt zwar gute Griffe, aber der Fels fühlt sich so leicht, kaum massiv an. Ein paar aufmunternde Kommentare vom anderen Seilende später, mit Hilfe der rückwärtigen Verschneidung und des luftigen Tritts kann ich mich dann doch erstaunlich leicht aus den Beinen hochdrücken – geht ja doch! Trotzdem bin ich erleichtert, an der Umlenkung anzukommen. Ist es überflüssig zu erwähnen, dass mein Handy in der Hosentasche bleibt?
Im rechten Teil der Weißen Wand finden wir zwei Routen im V. Grad. Die Ostkante ist angenehm abwechslungsreich, aber unübersichtlich. Ich bin mit den vielen Aufgaben fast ein wenig überfordert: immer einen Blick für die allgemeine Routenführung haben, dem Merken von möglichen Tritten an denen ich bereits mit Händen und Augen vorbeigekommen bin, energiesparendes Greifen und Treten – und so muss mich Maria von unten gleich zweimal daran erinnern, die Exen wieder auszuhängen. Dieses Mal habe ich mir aber vorgenommen, am Umlenker angekommen den Erfolg auch etwas zu genießen: ich verzichte zwar auf Fotos, der Ausblick vom Felsenkopf über die Baumwipfel ins Tal ist tatsächlich schön und lohnend!
Auch beim Waggala verzichte ich dankend auf die angebotene Vorstiegsmöglichkeit: ich fühle mich dafür noch längst nicht sicher genug. Und tatsächlich ist selbst im Nachstieg der oberste Abschnitt unangenehm, die Route zieht dort etwas nach links. Ich versuche zwar den Gedanken zu verdrängen, wie die mögliche Pendelbewegung im Fall eines Ausrutschens aussehen würde, bin dort aber alles andere als entspannt unterwegs. Von unten kommt die Frage „Hast Du etwas gemerkt?“ hinauf – und ich ahne, dass das unscheinbare Klacken von gerade nicht nur ein winziger Kiesel gewesen sein muss. Ich bin ganz offensichtlich sehr unaufmerksam – es wird Zeit für eine längere Pause!
Kopf und Psyche klettern (nicht immer) mit
Der Semmel schmeckt, die Pause tut gut – meine schon arg gebeutelte Armmuskulatur erholt sich immerhin ein wenig. Obwohl es im Laufe des Nachmittags langsam voller am Fels wird, können wir die laut Kletterführer sehr empfehlenswerte Route Daniel in Angriff nehmen. Dieses Mal braucht Maria etwas länger – und berichtet von unangenehm speckigen Passagen. Nach meinen ersten Kletternmetern muss ich ihr Recht geben: an einer ungünstigen Stelle über einem Vorsprung glänzt der Fels und beim Anblick der glatt geschliffenen Tritte habe ich das Gefühl, bereits mit meinen leichtgewichtigen Blicken abzurutschen. Objektiv gesehen kann zwar toprope (fast nichts) passieren, aber jetzt übernimmt der Kopf das Kommando: nicht in der Senkrechten zum Umlenker, etwas ausgesetzte Passage, speckiger Fels, Armmuskulatur zwar noch nicht verkrampft, aber an der Belastungsgrenze – hier gehe ich heute nicht mehr weiter.
Gescheitert? Ja, aber ich bin mir sicher, es kommen noch mehr Klettertage – und dann werde ich, frei nach Samuel Beckett, sicherlich besser scheitern!
Fazit
Nach ein paar Jahren Bouldern in der Halle war es eine großartige Erfahrung, zum ersten Mal an echten Felsen zu klettern. Ich habe so viel lernen und erleben dürfen – es war ein großartiger Tag! Das wäre aber alles ohne Marias wunderbare Unterstützung, geduldige Anleitung und vor allem das nötige Vertrauen nicht möglich gewesen – herzlichen Dank noch einmal an dieser Stelle!
Kletterdatum: 03. Juni 2021
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