Berg-Ge(he)n

Durch die Tuxer Alpen – Tag 2

Am zweiten Tourentag steht die sehr lange, aber schöne Gratüberschreitung von der Glungezer zur Lizumer Hütte auf dem Programm. Die auch als Seven TuXer Summits vermarktete Route stellt einige Anforderungen, vor allem an einen funktionierenden Wecker – denn wer erst im Laufe des Vormittags startet, verpasst das Abendessen auf der Lizumer Hütte!

Sonnenaufgang auf dem Glungezer

Unbarmherzig früh klingelt das Handy. Viel zu früh für’s Frühstück, finde ich, denn draußen bricht gerade einmal die Morgendämmerung an. Es braucht ein, zwei Minuten, bis ich mich an meinen gestern gefassten Vorsatz erinnere. Ich ziehe mich schnell an, schnappe mir meine Kamera und verlasse die warme Hütte. Draußen ist es sehr kalt, aber beim kurzen Anstieg zum Glungezer bleiben wenigstens meine Beine warm. Das kann ich von meinen Fingern allerdings nicht behaupten. Glücklicherweise geht schon wenige Minuten später die Sonne auf.

Erste zaghafte Farben am Glungezer mit Blick zum Olperer

Einige Fotos später kehre ich mit recht klammen Fingern zur Hütte zurück. Dort ist mittlerweile das Frühstück vorbereitet worden, die Zeitplanung geht somit perfekt auf. Es gibt sogar ein kleines Buffet – für eine Hütte auf mehr als 2.600 Meter Höhe alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Ordentlich für den Tag gestärkt packe ich im Lager meine Sachen zusammen. Dort bin ich der letzte, der Fotoabstecher zum Sonnenaufgang war zwar schön, aber auch zeitintensiv.

Morgenstimmung weit über dem Inntal

Über Blockgestein zur Kreuzspitze

Vor mir sind also schon einige Kleingruppen auf dem Weg zur Lizumer Hütte. Bereits im erneuten Anstieg zum Glungezer überhole ich die meisten. Lediglich die drei Passauer sind noch vor mir, als ich die eigentliche Gratwanderung beginne. Der Steig ist in der Folge zwar gut markiert, aber im oft unübersichtlichen Blockgestein ist beständige Aufmerksamkeit gefragt: mal links, mal rechts vom Grat, im ständigen Auf und Ab vergeht die Zeit wie im Flug. Endlich erreiche ich mit der Gamslahnerspitze den zweiten Gipfel. Wenn das so weitergeht, wird’s mit dem Abendessen auf der Lizumer Hütte knapp werden …

Fast den ganzen Tag über gehe ich auf den Hintertuxer Gletscher zu

Weiterhin direkt entlang der Grathöhe mache ich mich auf den Weg zur Kreuzspitze. Die Sonne steht mittlerweile schon weit über dem Horizont und macht die vielen Anstiege zu einer schweißtreibenden Angelegenheit. Trotzdem bleibt mir genug Zeit für eine interessante Beobachtung: auf der heutigen Tour fehlen die Farben. Alles wirkt grau oder schwarz, es gibt nicht einmal Moose. Einzig ein paar unscheinbare Flechten zeigen sich auf dem einen oder anderen Stein. Die hoch stehende Sonne tut ihr übriges und verstärkt die flauen Grautöne noch mehr.

Der erste Teil der Gratwanderung ist mühsam und arm an Farben

Die Kreuzspitze hält dann endlich wieder einen Farbtupfer bereit: das erst drei Wochen zuvor errichtete Gipfelkreuz zeigt noch frische Holztöne. Mir gefällt diese optische Abwechslung so sehr, dass ich meine erste Pause hier einlege.

Am neu errichteten Gipfelkreuz der Kreuzspitze

Endlich wieder Gehgelände

Jenseits der Kreuzspitze wird das Gelände endlich besser. Zwar sind die Berge weiterhin Schutthaufen, doch wird das Blockgestein seltener: ich komme nun stellenweise gewohnt flott voran. Genau zur Mittagsstunde stehe ich auf dem Rosenjoch, dem höchsten Punkt der heutigen Überschreitung.

Rückblick aus dem Anstieg zum Rosenjoch

Ab hier geht’s hauptsächlich abwärts. Und das teilweise sehr steil, gleich im Abstieg vom Rosenjoch wartet eine Steilstufe, die es in sich hat. Die auf Bodenhöhe angebrachten Seilversicherungen sind wohl eher für die Gegenrichtung gedacht und sehen wenig einladend aus. Ich wähle also die alte, die Stufe umgehende Wegvariante und bin sehr froh, als ich die unangenehm rutschige und durchaus ausgesetzte Passage hinter mich gebracht habe.

Blick zum Pflerscher Tribulaun in den Stubaier Alpen

Rasch überschreite ich die Grünbergspitze und erreiche kurz darauf mit der Grafmartspitze die letzte, nur noch wenig markante Erhebung im Gratverlauf. Ich zähle mehrmals die bisher besuchten Gipfel durch – komme aber nur auf sechs. Ich komme ins Grübeln, ob meine Rechenfähigkeiten wahlweise mit dem Alter oder eher mit der heutigen Sonnenintensität abgenommen haben könnten. Glücklicherweise zeigt mein Handy aber trotz der abgeschiedenen Lage LTE-Empfang an: Google verrät mir, dass die Naviser Sonnenspitze noch zu den Seven TuXer Summits dazugehört. Etwas beruhigt mache ich mich an den Abstieg ins Naviser Jöchl.

Blick aus dem Naviser Jöchl ins Voldertal

Abstecher zur Naviser Sonnenspitze

Jenseits des Naviser Jöchls zweigt dann auch schon der Steig zur Sonnenspitze ab. Da ich sehr gut in der Zeitplanung liege, lasse ich mir diesen Abstecher natürlich nicht nehmen. Ganz abgesehen davon, dass es reichlich uncool wäre, nur 6/7 der Seven TuXer Summits gemacht zu haben!

Es ist nicht mehr weit zur Naviser Sonnenspitze

Nach der langen und grau-schwarzen Gratwanderung freuen sich meine Augen, dass der Steig zunächst über grüne Wiesen hinaufführt. Der eigentliche Gipfel ist dann wieder felsig, über immer wieder gestufte Platten erreiche ich schließlich den letzten der Seven TuXer Summits. Geschafft!

Von der Naviser Sonnenspitze zeigt sich noch einmal der erste Teil der Gratwanderung im Profil

Nach einer längeren Pause und einem Schwätzchen mit den zwischenzeitlich doch überholten Passauern mache ich mich auf den Rückweg ins Naviser Jöchl. Der Steig in Richtung Lizumer Hütte beginnt gemütlich und angenehm – nach der anstrengenden Gratwanderung freue mich auf ein ruhiges Auslaufen.

Ein kleine Lacke wird am Mölsjoch passiert

Es bleibt ein langer Hatscher bis in die Lizum …

Aber bereits der Abstieg ins Mölsjoch ist etwas holprig, ich hatte mir diesen letzten Abschnitt etwas entspannter vorgestellt. Die Landschaft ist zwar schön, aber die vielen Fahrstraßen des riesigen Truppenübungsplatzes passen nicht so recht dazu. Zudem sind nach den bisherigen Anstrengungen die vielen kleinen, giftigen Auf- und Abstiege durchaus anstrengend. Trotzdem nehme ich noch den direkt neben der Straße gelegene Nördlichen Klammerschober mit.

Aussicht vom Nördlichen Klammerschober nach Westen

Ein paar Kurven weiter, ebenfalls direkt neben dem Weg liegt die Mölser Sonnenspitze, auf die ich aber verzichte. Ich konzentriere mich stattdessen darauf, Strecke zu machen. Das ist wenig spaßig, aber tatsächlich steht jetzt nur noch das Ankommen im Vordergrund. Nach dem Klammjoch geht es endlich spürbar abwärts, in die Lizum herab. Noch sind es zwei Kilometer auf dem Fahrweg, die ich mit etwas Disziplin dann überraschend zügig bewältige. In Sichtweite eines Schießplatzes darf ich den langweiligen Fahrweg endlich verlassen: ein schöner Steig führt mich direkt zur Lizumer Hütte hinab. Ich bin wirklich froh, dass der lange Tourentag gleich enden wird.

Gleich gibt’s ein Spezi!

Auf der Hüttenterrasse ist noch ein Tisch frei, Spezi gibt’s auch – sehr schön!

Volle Punktzahl für die Lizumer Hütte!

Überhaupt ist die Hütte ganz ausgezeichnet. Der vor einigen Jahren erfolgte Umbau hat viel Platz geschaffen, sämtliche Räumlichkeiten sind angenehm großzügig. In meinem Zimmerlager gibt es sogar ein kleines Waschbecken, Inbegriff von Luxus auf einer Berghütte!

Angenehm pünktlich wird das Abendessen serviert. Nach dem sehr leckeren Gulasch mit einem riesigen Semmelknödel wartet zum Dessert noch ein vorzüglicher (American) Cheesecake. Trotz des Zuckerschubs beschließe ich den Abend bald: nach der langen und anstrengenden Etappe freue ich mich viel Schlaf …

Tourendatum: 9. September 2020

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