Berg-Ge(he)n

Vorderer Igelskopf

Am Ende meines Sommerurlaubs unternehme ich einen neuen Anlauf, um endlich den Vorderen Igelskopf zu besuchen: der erste Versuch endete wenige Wochen zuvor mit einem verpassten Zug und somit ersatzweise auf dem Katzenkopf. Heute klappt die Anfahrt und ich entdecke ruhige und einsame Ecken in der Mieminger Kette.

Eine neue Geschäftsidee

Bevor ich allerdings loslaufen kann, heißt es geduldig sein und Deutsche im Ausland beobachten: erfreulicherweise gilt bekanntlich das Bayern-Ticket auch auf der Bahnstrecke von Garmisch-Partenkirchen nach Reutte in Tirol, was regelmäßig einige Ausflügler zur Vermutung veranlasst, Deutschland nicht zu verlassen. Meistens führt das nur zu Diskussionen mit den Busfahrern, die die wenigen Euro für die Fahrt von den Tiroler Haltepunkten in Ehrwald und Lermoos zur nächsten Seilbahn abkassieren müssen. Heute reicht es allerdings auch zu lautstarken Konflikten mit dem Bahnpersonal, dass sich nur unter Androhung eines kostenintensiven Polizeieinsatzes durchsetzen kann: seit ein paar Tagen gilt in Österreich wieder die FFP2-Maskenpflicht im ÖPNV, während in Deutschland (noch) eine chirurgische Maske ausreicht. Keine sonderliche Überraschung, wer aufmerksam die Medien verfolgt – ein Problem jedoch mindestens für die Nicht-Verstehen-Wollenden. Aber dann findet doch jeder noch eine alte, manchmal arg zerknitterte FFP2-Maske im Rucksack: ich kann meine Ersatzmaske heute also nicht gewinnbringend verkaufen …

Ungeahnte Leichtigkeit am Immensteig

Nach der kurzen Busfahrt vom Bahnhof in Ehrwald erreiche ich dann mit der Talstation der Ehrwalder Almbahn meinen heutigen Ausgangspunkt. Natürlich verzichte ich auf die Seilbahnfahrt und werde stattdessen mit dem Immensteig mal wieder einen für mich neuen Steig ausprobieren. Dieser ist schwarz klassifiziert und gilt manchen als leichter Klettersteig. Ich bin gespannt, was mich erwartet. Nicht zuletzt, weil es in der Nacht noch leicht geregnet hat: es könnte also hin und wieder etwas rutschig werden. Der Zustiegsweg ist dann auch matschig und zahlreiche feuchte Wurzeln sorgen tatsächlich für moderate Sturzgefahr.

Als ich dann am Einstieg in den eigentlichen Immensteig stehe, bin ich durchaus beeindruckt. Ein steiler felsiger Aufschwung fordert direkt ein kräftiges Zupacken in die erst kürzlich sanierten Sicherungen. Das Gelände wird in der Folge aber schnell wieder einfacher, auch wenn die eine oder andere Sicherung auf mich durchaus sinnvoll wirkt. Deutlich schneller als gedacht erreiche ich den oberen Rand der steilen Felswand, durch die mich der geschickt angelegte Steig sicher geführt hat. Der Übergang ins nahezu flache Gelände ist dann auch schnell absolviert. Zügiger als gedacht erreiche ich den bereits stark frequentierten Forstweg von der Ehrwalder Alm zum Seebensee.

Zwischendrin wird’s ganz schön gemütlich!

Aufstieg ins Brendlkar

Ich bin sehr erleichtert, als ich den Fahrweg nach einigen Metern bereits wieder verlassen kann: die nun einsetzende Stille auf dem Weg ins Brendlkar ist wohltuend und angenehm. So wie es nun ruhiger wird, so verbessert sich die Aussicht mit jedem Schritt: das gegenüberliegende Zugspitzmassiv ist zudem sehr fotogen, so dass ich die gelegentlich notwendigen Verschnaufpausen auf den steilen Rampen mit dem einen oder anderen Fotostopp tarnen kann.

Morgennebel wabert um das Zugspitzmassiv

Im Brendlkar muss ich dann die erste Entscheidung treffen: gehe ich weglos durch das Kar direkt an den Fuß der Igelsscharte und steige steil auf – oder nehme ich den Umweg in Richtung Hinteres Tajatörl in Kauf? Ich entscheide mich für letzteres, denn auf halber Strecke sollte ein bezeichneter Steig in Richtung Igelsscharte abzweigen. Ob der allerdings in einem guten Zustand sein wird, lässt sich kaum vorausahnen, aber ich kann seinen Verlauf unterhalb der Mitterspitzen auf einem Schutthang gut erkennen. Was mir allerdings mehr Sorge bereitet, als den Steig zu finden, sind die Steinschläge auf genau diesem Schutthang: mehrmals höre und sehe ich einzelne Steine, die sich geräuschvoll auf den Weg in die Tiefe machen. Mit gemischten Gefühlen lege ich am Abzweig meines Steigs erst einmal eine längere Verpflegungspause ein: Kräfte sammeln könnte später noch wichtig sein, um diese steinschlaggefährdete Passage schnell und sicher absolvieren zu können.

Der Vordere Igelskopf liegt links der Igelsscharte

Steinschlaggefahr auf dem Weg in die Igelsscharte

Der in mäßigem Zustand befindliche Verbindungssteig in die Igelsscharte verliert erst einmal zahlreiche Höhenmeter in felsigem Gelände. Sobald es wieder aufwärts geht, wird’s schnell spannend. Die Flanke ist steil, der Steig schmal und es gibt so gut wie keine sicheren Stellen hinter größeren Felsen – noch ein Foto von sicherer Stelle, gut durchatmen und los geht’s. Glücklicherweise ist der Steig nun besser als er auf den ersten Passagen den Anschein machte. Die Steine sind meistens kompakt zusammengedrückt und ich komme ohne die befürchteten rutschigen Passagen schnell und vor allem sicher voran. Als die Igelsscharte in Reichweite kommt, ist die Steinschlaggefahr dann auch schon vorbei – beruhigt steige ich die letzten Meter zur Scharte hinauf.

Sieht harmlos aus, aber hier sollte man nicht lange stehen bleiben …

Bröseliger Aufstieg zum Gipfel

Der schmale Übergang ins Igelkar hält keinen Hinweis auf die Besteigungsmöglichkeit des Vorderen Igelskopfs bereit. Ich entdecke aber auf Anhieb die Steigspuren, die sich um eine Felsnase herum nach oben ziehen. Das Gelände ist dabei noch einfach, genauso wie es in einer mir bekannten Buchveröffentlichung beschrieben worden ist. Umso überraschender erreiche ich wenig später steile Schrofen, die kaum mehr als die angekündigten T3 durchgehen. Selbst auf den grasigen Stellen liegen feine Felssplitter, ausgewaschene Rinnen sind mit feinem, sandigen Rollsplit gefüllt.

Mit beherztem Stockeinsatz arbeite ich mich mühsam nach oben – der Gedanke an den Abstieg macht’s nicht besser. Nicht nur einmal denke ich darüber nach, auf den Gipfel zu verzichten: das Gelände ist zwar nicht klassisch ausgesetzt, aber doch so steil, dass jeder Sturz besser vermieden werden sollte. Ich finde aber dann doch immer wieder mögliche Routen über die nächste Schwierigkeit hinweg und kann nach einiger Zeit zu einer steilen, aber sicheren Wiese queren. Ab jetzt ist der verbleibende Weg zum Vorderen Igelskopf nur noch Formsache!

Alle Schwierigkeiten sind überwunden, jetzt wird’s einfacher

Lohn der Mühen ist ein absolut einsames Gipfelerlebnis: das Gipfelbuch weist nur ein paar Dutzend Eintragungen pro Jahr auf. Natürlich ist klar, dass der anspruchsvolle Anstieg nicht massentauglich ist, aber es sollte eigentlich mehr als genügend erfahrene Gipfelaspiranten geben, die sich dieses Panorama nicht entgehen lassen sollten: der Vordere Igelskopf ist ein vorzüglicher Aussichtsgipfel zwischen Wettersteingebirge und Mieminger Kette. Zwar verhindern beide Gruppen die Aussicht nach Norden und Süden, aber umso genauer lassen sich die umliegenden Gipfel studieren.

Bei diesem Tiefblick ins Gaistal sind die Mühen des Anstiegs bereits vergessen

Nervenkitzel im Abstieg

Zur Beruhigung meines Nervenkostüms muss die Tafel Schokolade aus meinem Rucksack noch dran glauben, bevor ich zum Abstieg bereit bin. Erwartungsgemäß geht bis zur steilen Wiese alles gut, bevor die schwierigen Passagen beginnen. Zwar erinnere ich mich gut an meine Aufstiegswege, aber im Abstieg sind nicht alle davon sicher zu begehen. Ich muss also immer wieder neue Lösungen für alte, rutschige Problemstellen finden. Der Puls bleibt hoch, nicht nur an den heiklen Stellen. An vielen Stellen geht’s ja nicht nur nur um den nächsten Schritt, sondern wegen des rutschigen Geländes immer gleich um eine ganze Sequenz bis zum nächsten sicheren Stand.

Spaß sieht leider anders aus …

Freude macht mir dieser Abstieg nicht gerade, aber glücklicherweise geht alles gut: ich rutsche nicht ein einziges Mal weg und kann nach wenigen Minuten endlich wieder gut durchatmen. Ein letzter Blick zum Schrofenhang hinauf und weiter geht’s, nun wieder in sicherem Gelände, zurück zur Igelsscharte. Hoffentlich sind jetzt alle Schwierigkeiten geschafft? Der Abstieg ins Igelskar sieht jedenfalls im Vergleich ganz prima aus!

Wer findet die Breitenkopfhütte?

Abstecher zur Breitenkopfhütte

Wie erwartet erreiche ich ohne besondere Schwierigkeiten den Karboden. Dieser ist angenehm gewellt – und ich mache mich auf den Weg zur auf der anderen Seite gelegenen Breitenkopfhütte. Diese Selbstversorgerhütte liegt direkt unterhalb der steilen Bergflanke des namensgebenden Breitenkopfs und faszinierenderweise unmittelbar neben einem alten Stolleneingang.

Die Breitenkopfhütte duckt sich in die steile Flanke des Breitenkopfs

Nach den Regenfällen der letzten Tage tropft es vom überhängenden Felsdach herunter, aber die Bank an der Hüttenwand liegt gerade noch so im Trockenen. Auf einen Besichtigung der ersten, sehr feuchten Stollenmeter verzichte ich und bleibe stattdessen für eine längere Pause sitzen. Der Blick über das Kar ist faszinierend, ich schaue aber natürlich besonders gerne zu den beiden Igelsköpfen hinüber.

Rückblick zum Vorderen Igelskopf

Der folgende Abstieg ist zunächst noch ganz interessant: der jahrhundertelange Bergbau im Igelskar hat seine Spuren hinterlassen. Stolleneingänge und Abraumspuren sind allgegenwärtig – allerdings ist ein Begehen der alten Stollen auf eigene Faust kaum empfehlenswert. Abgebaut wurden früher im Igelskar übrigens hauptsächlich Bleiglanz und Zinkblende. Vermutlich liegen noch einige Tonnen Gestein im Berg, ein wirtschaftlich erfolgreicher Abbau ist aber in der nächsten Zeit wohl kaum zu erwarten.

Nichts für groß gewachsene Menschen

Fahrwege über Fahrwege …

Der schöne Abstiegsweg aus dem einsamen Igelskar endet schließlich an einer Forststraße. Ein paar Mountainbiker überholen rasant, Spaziergänger mit Kinderwagen stehen herum: ich bin eindeutig zurück in der Zivilisation. Und auf den nächsten Kilometern zur Ehrwalder Alm wird die Szenerie immer belebter. Da kommt wenigstens die Seilbahn recht, mit der zahlreiche Ausflügler bequem ins Tal hinab schweben. Ich laufe natürlich die Strecke, aber auch in diesem Jahr bleiben die Fahrwege wenig spannend. Vorbei an der Talstation, an der ich einen Bus zum Bahnhof verpasse, erreiche ich schließlich die asphaltierten Straßen. Bis zum Bahnhof sind es schließlich satte 9 km, die ich alleine auf dem anstehenden Rückweg auf Fahrwegen und Straßen zurücklege. Da freue ich mich schon auf die lange, erholsame Rückfahrt nach München!

Am fast ausgetrockneten Igelsee beginnen die Fahrwege …

Fazit

Was für eine knackige, aber über weite Strecken so einsame wie schöne Tour! Wer einmal garantiert alleine auf einem Gipfel stehen möchte und über die notwendigen Fähigkeiten verfügt, sollte den Vorderen Igelskopf bei einer passenden Gelegenheit unbedingt besuchen!

Tourendatum: 18. September 2021

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