Berg-Ge(he)n

Buchempfehlung: „Traumgrate der Ostalpen“

Die Überschreitung der Arnspitzen ist einer der "Traumgrate der Ostalpen"

Wer kennt nicht die Situationen im Leben, die ein bedachtes Vorgehen einfordern? Sprachlich werden sie oft Gratwanderungen genannt, denn zwischen zwei Gefahren bleibt oft nur ein einzig gangbarer Weg übrig. Bereits kleinere Fehler führen dann schnell zu größeren Problemen. Da ist es kein Wunder, dass der Begriff im Allgemeinen eher negativ besetzt ist. Aber dann gibt es ganz im Gegensatz dazu ja noch die freiwilligen Gratwanderungen in den Bergen, die als Freizeitaktivität sehr beliebt sind. Meistens gibt es dabei viel zu sehen und zu entdecken, aber auch hier lauert links und rechts ein sogar realer Abgrund. Ein Mindestmaß an Geschick, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und manchmal sogar etwas Wagemut dürfen bei einer solchen Begehung in die Waagschale geworfen werden. Michael Pröttel nimmt mit seinem neuen Buch „Traumgrate der Ostalpen“ den schon etwas erfahreneren Bergsteiger mit auf meist anspruchsvolle Touren über wilde Grate – großartige Panoramen inklusive!

Über den Autor

Michael Pröttel ist in der bayerischen Bergszene wahrlich kein Unbekannter. Zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge sorgen dafür, dass fast jeder Berggänger schon einmal etwas von ihm gehört, gesehen oder gelesen hat. Die Liste seiner Bücher und Zeitschriftenartikel ist mehr als lang – und wird in der Anzahl nur noch vom wöchentlichen Bergbericht des Deutschen Alpenvereins übertroffen, den er seit vielen Jahren so gewissenhaft wie lesenswert zusammenstellt. Die Bergbegeisterung des Autors ist bei seinem Wohnort aber auch kein Wunder: von den höchsten Hügeln des Fünfseenlands sind die Gipfel der Bayerischen Alpen bei gutem Wetter immer im Blick und nie weit entfernt!

Titelabbildung "Traumgrate der Ostalpen. Entlang atemberaubender Aussichten die Berge erkunden"
Titelabbildung „Traumgrate der Ostalpen. Entlang atemberaubender Aussichten die Berge erkunden“

Schwerpunkt zwischen dem Tannheimer Tal und Berchtesgaden

Die Übersichtskarte auf der Innenseite des Umschlags verrät schnell: die meisten Tourenvorschläge finden sich in den Nördlichen Kalkalpen und vor allem in den von Bayern aus leicht erreichbaren Gebirgsgruppen zwischen Reutte in Tirol und Salzburg. Der Autor reflektiert dies im Einleitungsteil und holt in der Folge seine Zielgruppe dort ab, wo sie in der Praxis vermutlich auch herkommen wird: die Anfahrtsbeschreibungen sind sicherlich nicht ganz zufällig auf die Anreise aus dem Großraum München zugeschnitten.

Michael Pröttel ergänzt diese Auswahl an Zielen in den Münchner Hausbergen durch bekannte Sehnsuchtsziele ambitionierter Bergsteiger wie den Biancograt am Piz Bernina oder über den Hintergrat zum Ortler. Die Hohen Tauern sind mit einem Teilstück des Klagenfurter Jubiläumswegs und dem kaum bekannten Gleiwitzer Höhenweg vertreten. Ein Abstecher in den slowenischen Teil der Julischen Alpen ist mit zwei Routen zum Triglav ebenfalls enthalten, liegt aber für die erwähnte Zielgruppe bereits etwas abseits.

Sortierung der Tourenvorschläge nach Schwierigkeitsgrad

In den meisten Tourenbüchern sind die Beschreibungen nach Regionen sortiert. Das ist im vorliegenden Buch jedoch nicht der Fall. Beispielsweise trennen ganze 50 Seiten die Beschreibung des Anstiegs zum Ortler über den Nordgrat von der über den Hintergrat zum höchsten Südtiroler Gipfel. Das ist auf den ersten Blick etwas verwirrend, wird aber gleich auf den ersten einleitenden Seiten aufgeklärt: jede der 30 Touren wird einem von drei Schwierigkeitsstufen zugeordnet und entsprechend vorsortiert entweder im vorderen, mittleren oder hinteren Buchabschnitt behandelt.

Auch wenn es dabei mit der Überschreitung der Nagelfluhkette am Rande der Allgäuer Alpen recht harmlos losgeht, so folgen doch bereits im ersten Drittel durchaus knackige und anspruchsvolle Touren mit Felskontakt. Die Tourenvorschläge des mittleren Abschnitts erreichen bereits den dritten Schwierigkeitsgrad sowie schwierige Klettersteigpassagen. Auf den finalen zehn Touren geht’s mit dem maximal fünften Schwierigkeitsgrad endgültig mehr als ernsthaft zur Sache – hier bleiben in der Regel die erfahrenen Alpinisten unter sich.

Die Überschreitung der Nagelfluhkette ist der mit Abstand leichteste Tourenvorschlag
Die Überschreitung der Nagelfluhkette ist der mit Abstand leichteste Tourenvorschlag

Beispiele für die Unterteilung in die drei Schwierigkeitsstufen der „Traumgrate der Ostalpen“

  • Einfache Grattouren
  • Gemäßigte Grattouren
    • Jubiläumgsgrat
    • Überschreitung der Arngruppe
    • Ortler über Nordgrat
  • Ambitionierte Grattouren
    • Über den Biancograt zum Piz Bernina
    • Über den Südgrat zur Ehrwalder Sonnenspitze
    • Ortler über Hintergrat
Der Südgrat (li.) führt im Schwierigkeitsgrad V zur Ehrwalder Sonnenspitze
Der Südgrat (li.) führt im Schwierigkeitsgrad V zur Ehrwalder Sonnenspitze

Abgrenzung zu Kletterführern

Obwohl fast alle Tourenvorschläge Kletterpassagen enthalten, handelt es sich bei dem Buch keinesfalls um einen Kletterführer. Das liegt vor allem daran, dass Michael Pröttel im Allgemeinen lange Streckentouren vorstellt, die – egal in welcher Schwierigkeitsstufe – immer auch große Anteile Gehgelände enthalten. Bei allen Touren über die „Traumgrate der Ostalpen“ handelt sich durchweg um Ein- oder Mehrtagestouren, die kaum in allen Details zu beschreiben sind. Leider sind keinerlei Topos enthalten, auch wenn der Autor sich bemüht, die Routenfindung von Kletterabschnitten zu verbalisieren. Die Orientierung an den Gratverläufen erleichtert dieses Unterfangen. Dabei ist die Detailtiefe der Beschreibung situativ sinnvoll angepasst, so dass erfahrene Bergsteiger sich im Gelände zurecht finden sollten. Dennoch schadet es nicht, gerade im erhöhten Schwierigkeitsgrad, weitere Literatur und gegebenenfalls auch Topos bei Mehrseillängen in der Vorbereitung zu Rate zu ziehen bzw. vor Ort griffbereit zu haben.

Der Tourenvorschlag zur Lamsenspitze erreicht den Gipfel über den rechtsliegenden Nordostgrat
Der Tourenvorschlag zur Lamsenspitze erreicht den Gipfel über den rechtsliegenden Nordostgrat

An der Grenze zum Bildband

Egal, auf welcher Seite man das Buch aufschlägt: es gibt immer mindestens ein Foto, das gleich in den Blick gerät. Und um ehrlich zu sein: meistens sind es sogar deutlich mehr. Die Bilder sind dabei von sehr hoher Qualität und erfreulich abwechslungsreich. Neben schönen, oft großformatigen und manchmal auch doppelseitigen Landschaftsaufnahmen finden sich unzählige stimmungsvolle und authentische Aufnahmen von Bergsteigern in Aktion. Bereits beim An- und Zuschauen auf dem heimischem Sofa spürt man den Fels unter den Fingern und Zehen – die Vorfreude auf die nächste Tour wird mit jeder Seite größer!

Rückblick von der Alpspitze zum Jubiläumsgrat
Rückblick von der Alpspitze zum Jubiläumsgrat

Hohe Informationsdichte

Jede Tour des Buchs erhält vier bis sechs Seiten Platz. Das ist eine ganze Menge, nicht nur für die bereits erwähnten vielen Fotos. So bleibt gleich zu Beginn immer genügend Raum für angenehm leicht zu lesende Hintergründe zur Tour, zur Besteigungsgeschichte des Gipfels oder für einige allgemeine Tipps.

Neben der dann folgenden Wegbeschreibung findet sich bei jedem Tourenvorschlag ein großzügig gefüllter Informationskasten. Neben einer Übersichtskarte und den üblichen Angaben zu Talorten, Gehzeiten, Hütten und Einkehrmöglichkeiten finden sich einige stichpunktartige Anmerkungen zur Anfahrt. Hierbei wird erfreulicherweise zuerst die Anreise und Abreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln beschrieben (sofern sinnvoll möglich), erst dann folgen die entsprechenden Hinweise für den motorisierten Individualverkehr. Abgerundet wird der Informationskasten mit einer kurzen Tourencharakteristik, Hinweisen zur empfehlenswerten oder notwendigen Ausrüstung sowie zum erwartbaren Einsamkeitsfaktor.

Die Ausblicke vom Mittenwalder Höhenweg sind einfach großartig!
Die Ausblicke vom Mittenwalder Höhenweg sind einfach großartig!

Fazit und Wertung

Michael Pröttel ist erneut ein lesenswertes Tourenbuch gelungen. Gut ausgesuchte, abwechslungsreiche Tourenvorschläge und gelungene Texte sind mit motivierenden Fotos angereichert, die das Buch zu einer wertvollen Inspirationsquelle machen und zur Tourenplanung einladen. Dabei bleibt der Autor inhaltlich gewissenhaft beim namensgebenden Thema der Grate. Lediglich die geographische Verteilung der Tourenvorschläge in den Ostalpen hält nicht ganz, was der Titel verspricht. Für Bergbegeisterte aus Bayern fällt dieses kleine Manko allerdings kaum ins Gewicht.

Teilweise geeignet erscheinen die „Traumgrate der Ostalpen“ für Bergwanderer, die vor allem anhand der ersten, leichteren Touren sich weiterentwickeln und die faszinierende Welt der Bergsteiger kennenlernen wollen. Wer bereits mehr Erfahrung mitbringt und somit zur eigentlichen Zielgruppe der Veröffentlichung gehört, wird sicherlich die eine oder andere Tour, wie zum Beispiel die Watzmannüberschreitung, bereits kennen. Es bleiben dennoch genügend neue Ideen spätestens ab der Mitte des Buchs, die zu neuen Abenteuern einladen!

Bibliographische Angaben

Titel: „Traumgrate der Ostalpen. Entlang atemberaubender Aussichten die Berge erklimmen“
Autor: Michael Pröttel
Verlag: Bruckmann
ISBN: 978-3-37343-2907-4
1. Auflage 2024
Preis: 24,99 €

Offenlegung: Der Verlag Bruckmann hat mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Auf den Inhalt des Artikels hat dies keinen Einfluss, die geschilderten Eindrücke des besprochenen Buchs sind meine eigenen.

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