Berg-Ge(he)n

Fast bis zum Kirchbachkreuz

Zum Kirchbachkreuz scheint es nur ein Katzensprung zu sein

Naturns ist natürlich ein schöner Ferienort, bringt aber auch einen kleinen Nachteil mit sich: für meinen familienfreien Tag im Herbsturlaub gibt’s nur wenige in Frage kommende Gipfelziele. Schließlich habe ich die im Süden gelegenen Gipfel rund um die Naturnser Hochwart schon vor einigen Jahren von der Ultner Seite aus bestiegen. Unmittelbar nördlich von Naturns erhebt sich schon steil und abweisend die Texelgruppe mit Gipfelhöhen um die 3.000 Metern. Ich entscheide mich schließlich für den direkten Anstieg von Süden auf das Kirchbachkreuz, dem Naturnser Hausberg, und kann dabei ausnahmsweise auf ein wenig Seilbahnunterstützung setzen.

Einsamkeit auf dem Meraner Höhenweg

Während die Familie langsam aufwacht, packe ich meinen Rucksack mit Wasser, ein paar kleinen Tomaten, einem Apfel, Vinschgerl und Kaminwurzen. Das ist so einfach wie wohlschmeckend, viel mehr braucht’s nicht – und wenn, dann wäre höchsten noch ein Stück Speck in Frage gekommen! Als ich mich wenig später auf den Weg mache, ist in Tschirland noch nichts los und auch an der Talstation der Seilbahn Unterstell herrscht gähnende Leere. Ich bin der erste Fahrgast des heutigen Tages und schwebe alleine hinauf nach Unterstell. Kurz vor acht geht’s dann endlich richtig los: gut 1.800 Höhenmeter bis zum Kirchbachkreuz warten auf mich. Ich bin gespannt und freue mich auf eine gescheite Bergtour!

Morgenstimmung kurz nach dem Start in Unterstell
Morgenstimmung kurz nach dem Start in Unterstell

Auf dem schon gestern mit der Familie absolvierten Steigen folge ich dem menschenleeren Meraner Höhenweg bis an den Fußpunkt meines Aufstiegs zum Kirchbachkreuz. Bisher ging alles recht flott, aber das Gelände war auch weitgehend flach. Ich fühle mich angenehm warm gelaufen.

Steil, steiler, Weg Nr. 6

Das Gelände steilt nun spürbar auf, aber die Wege bleiben gut. Schließlich liegt noch oberhalb von mir ein letzter Bergbauernhof, zu dem sogar eine asphaltierte Straße führt. Gleich hinter dem Hof beginnt aber die endlose Schinderei: nach der letzten Bergwiese muss ich am Waldrand kurz verschnaufen. Und es bleibt fast durchgängig steil. Nach dem eher schmalen Waldgürtel komme ich wieder in freieres Gelände. Das ist natürlich prima für die Aussicht, allerdings erkenne ich auch, wie überaus zügig mich der Steig weiter in die Höhe führen wird. Das Gipfelkreuz scheint jedenfalls durchgängig zum Greifen nah zu sein, aber vermutlich ist es einfach nur sehr groß …

Rot und Blau - Fans des Wuppertaler SV?
Rot und Blau – Fans des Wuppertaler SV?

Immerhin ist der Steig meistens gut zu gehen, auch wenn eine etwas ausgesetzte Querung und ein unangenehm rutschiger, steiler Aufschwung zu absolvieren ist. Im Aufstieg ist das ja meistens nicht so schwierig, der Abstieg dürfte wohl etwas mühevoller ausfallen und viel Konzentration erfordern. Bis es soweit ist, dauert’s aber noch ein paar Stunden: ich steige zwar kontinuierlich auf, aber alles scheint ewig zu dauern.

Es ist egal, wie hoch ich steige: das Gipfelkreuz rückt nicht näher
Es ist egal, wie hoch ich steige: das Gipfelkreuz rückt nicht näher

Der Wegverlauf ist zwar einigermaßen gut ins Gelände eingefügt, bleibt jedoch unerfreulich konsequent unregelmäßig. In den steilen Bergwiesen finde ich somit keinen guten Rhythmus und freue mich, als ich auf einem übersichtlichen Geländeabsatz eine kleine Hütte vorfinde. Die ist alles andere als gut in Schuss, bietet mir dennoch einen passablen Rastplatz. Es wird langsam Zeit, die Muskulatur etwas zu lockern und nach schon deutlich mehr als 1.000 Höhenmetern eine erste verdiente Verpflegungspause mit großartiger Aussicht einzulegen.

Die ersten Gletscher zeigen sich jenseits des Martelltals
Die ersten Gletscher zeigen sich jenseits des Martelltals

Schmieriger Batz und Umkehr

Zumindest halbwegs erholt mache ich mich an den restlichen Aufstieg. Noch etwa 500 bis 600 Höhenmeter, das sollte normalerweise kein großes Problem mehr darstellen. Aber was ist schon normal in diesem zähen Anstieg? Mit dem Ziel fest vor Augen, schleiche ich den Gratverlauf langsam aufwärts. Es ist und bleibt mühsam, zumal ich jetzt in den Bereich komme, der bis vor wenigen Tagen noch schneebedeckt war. Der Schnee ist natürlich auf diesem Südhang geschmolzen, die Erde ist jedoch noch durchfeuchtet. Dort, wo das Gras langsam spärlich wird, macht sich auch schon der Matsch breit. Das Profil meiner Schuhe ist längst mit Batz verstopft, als die felsigen Passagen immer zahlreicher werden. Keine gute Kombination, vor allem, wenn die Kraft langsam weniger wird. Zwar ist das Gelände in dem Bereich noch nicht unmittelbar ausgesetzt, aber Fehltritte über den steilen Wiesenhängen kaum anzuraten.

Gehgelände, aber alles andere als gemütlich ...
Gehgelände, aber alles andere als gemütlich …

Nachdem ich immer mehr Verschnaufpausen machen muss, um die Konzentration hoch zu halten, entschließe ich mich lediglich 250 Höhenmeter unter dem weiterhin nahen Kirchbachkreuz zur Umkehr. Beim aktuellen Tempo bin ich viel zu langsam unterwegs und der Abstieg über den steilen Steig wird noch einmal viel Zeit kosten. Und ob der alternative, vermutlich deutlich schnellere Abstieg entlang der Nordseite des Gipfels über den Dickhof zurück auf die Südseite nach dem Wintereinbruch vor ein paar Tagen überhaupt gut zu gehen sein könnte, bleibt ungewiss. Auch wenn’s ein wenig schmerzt, entscheide ich mich nach rein objektiven Kriterien. Gelernt ist gelernt: lieber mit etwas Kraftreserven sicher zurück ins Tal, als bange Gesichter bei meiner Familie, wenn der Sonnenuntergang langsam näher rückt und die letzte Seilbahn längst gefahren ist …

Näher komme ich dem Kirchbachkreuz heute nicht mehr - schade!
Näher komme ich dem Kirchbachkreuz heute nicht mehr – schade!

Langwieriger Abstieg nach Unterstell

Die getroffene Entscheidung tut mir und meinem Gewissen sichtlich gut. Ich genieße noch einmal ein Vinschgerl mit Kaminwurz samt grandioser Aussicht. Wenigstens bin ich jetzt hoch genug, um Einblicke in Ortler-Gruppen zu erhaschen. Während der Cevedale schon länger über dem Ende des Martelltals zu sehen war, bereichern jetzt auch die formschöne Königspitze, der doppelgipflige Cebru und natürlich der Ortler als höchster Südtiroler Gipfel die Szenerie!

Drei der fünf höchsten Gipfel Südtirols sind unmittelbar benachbart
Drei der fünf höchsten Gipfel Südtirols sind unmittelbar benachbart

Schließlich mache mich an den langen Abstieg über 1.600 Höhenmeter zurück zur Seilbahn. Besonders spannend ist das nicht, denn ich kenne ja den Weg nur zu gut. In umgekehrter Reihenfolge absolviere ich nun die Schwierigkeiten. Auch wenn ich natürlich beim Abstieg etwas schneller bin als zuvor im Aufstieg, ist weiterhin viel Konzentration gefordert. Schließlich wartet zum Schluss noch eine ausgesetzte Passage auf mich. Vorfreude sieht teilweise anders, vielleicht bin ich deshalb so gerne auf unterschiedlichen Auf- und Abstiegswegen unterwegs? Oberhalb des Schnatzhofs geht jedenfalls langsam die Entspannung los: ab jetzt kann nichts mehr schief gehen. Ein wenig Zeit bleibt noch für ein kühles Getränk in einer Jausenstation – und wenig später stehe ich nach knapp 9 Stunden wieder an der Bergstation der Seilbahn in Unterstell.

Selbst im Abstieg bleibt das Gipfelkreuz ständig präsent
Selbst im Abstieg bleibt das Gipfelkreuz ständig präsent

Fazit

Viele Stunden Gehzeit, überraschend wenige zurückgelegte Kilometer und umso mehr Höhenmeter – dieser Tag war mehr als anstrengend. Natürlich, das nicht erreichte Gipfelziel wurmte mich ein wenig und hielt mir einen ungeschönten Spiegel meiner Fitness vor. Gerne hätte ich auf dem Kirchbachkreuz gestanden und auch einen Blick in die Texelgruppe selbst geworfen. Ein schöner Bergtag war’s dennoch, die Aussichten vom Rand der Texelgruppe, hoch über dem Vinschgau, haben mich schlicht begeistert!

Tourendatum: 18. September

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