Berg-Ge(he)n

Über den Durschkopf zum Rauenkopf

Leicht zu erkennen: der Rauenkopf ist ein Vorgipfel der Reither Spitze

Mein letzter Besuch in der Erlspitzgruppe, eine Begehung des Freiungen-Höhenwegs, liegt bereits drei Jahre zurück. Da wird’s mal wieder Zeit, die Gipfelliste der Region zu vervollständigen. Südlich der Reither Spitze finden sich nämlich noch drei unspektakuläre Vorgipfel, die ich nicht besucht habe. Zwar ist die Anfahrt mit dem Zug bis nach Reith bei Seefeld vergleichsweise lang, aber die eigentliche Tour über den Durschkopf zum Holzköpfl und weiter zum Rauenkopf wird wohl nicht besonders aufwendig werden. So werde ich – hoffentlich! – das spätsommerliche Wetter am Nachmittag noch mit der Familie genießen können.

Spinnweben am Durschkopf

Wer früh wieder zuhause sein möchte, muss morgens allerdings auch früh starten. Der Wecker klingelt also schon um halb sechs und ich packe möglichst leise meinen Rucksack. Als ich abmarschbereit bin, wacht so langsam auch die restliche Familie auf und ich kann mich noch von meinen beiden Damen verabschieden. Ich erreiche noch vor der S-Bahn den Bahnsteig und kann mich in den folgenden zwei Stunden gemütlich zurücklehnen: alle Anschlüsse klappen vorzüglich. Gut erholt und mit einem zweiten Frühstück gestärkt verlasse ich schließlich kurz vor neun Uhr den Zug in Reith. Das bietet nur die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln!

Nach der Durchquerung des kleinen Orts beginne ich den Aufstieg entlang des Reither Bachs. Der noch im morgendlichen Schatten liegende Rosenkranzweg führt mich hinauf zu einer kleinen Kapelle und weiter zu einem Fahrweg. Nahezu eben folge ich einem Fahrweg nach Süden. Die Aussichten werden dabei immer besser, und die Sonne lässt sich jetzt auch endlich blicken.

Auf der anderen Seite des Inntals gibt's im Sellrain auch lohnende Ziele
Auf der anderen Seite des Inntals gibt’s im Sellrain auch lohnende Ziele

Vom komfortablen Forstweg zweige ich bald auf einen steilen Karrenweg ab, mit dem ich eine lange Kehre abkürzen kann. Dann verlasse ich für die nächste Zeit das markierte Wegenetz. Steil, aber auf gutem Weg steige ich in den Geländesattel auf, der Durschkopf und Holzköpfl verbindet. Ein leicht zu findender Steig leitet mich von hier die letzten 50 Höhenmeter hinauf zum ersten Gipfel des Tages. Allerdings scheine ich der erste Besucher seit langem zu sein, zahlreiche Spinnweben bezeugen die Einsamkeit dieses fast vollständig bewaldeten Gipfels über dem Inntal. An der Ostseite befindet sich allerdings eine felsige Abbruchkante, die ein wenig Aussicht nach Südwesten entlang des Pflegerstals bietet.

Morgendlicher Ausblick vom Durschkopf ins Inntal
Morgendlicher Ausblick vom Durschkopf ins Inntal

Sagen von Riesen und Steinöl

Schon immer haben die Berge die Menschen zu Geschichten inspiriert. Der verwunschene Rosengarten von König Laurin und die tragische Geschichte des Volkes der Fanes sind bekannte Beispiele aus Südtirol. Aber auch nördlich des Alpenhauptkamms sind viele Sagen entstanden: so wartet angeblich Kaiser Karl der Große in den Tiefen des Unterbergs auf bessere Zeiten und gewährte ein aufmerksamer Fels auf dem Falkenstein dem Heiligen Wolfgang auf der Flucht vor dem Teufel in höchster Not einen Unterschlupf.

Eher unbekannt ist die Sage, mit der im südwestlichen Karwendel die dort vorkommenden Ölschiefervorkommen erklärt wurden. Der in der Gegend von Leithen lebende Riese Thyrsus fühlt sich in seiner Ruhe vom einwandernden Riesen Haymon gestört. Es kommt zu einem Kampf auf Leben und Tod, bei dem Thyrsus verwundet wird. Auf seiner Flucht ins Karwendel verliert er viel Blut und stirbt wenig später auf einem Hügel. Das Thyrsusblut, Tirschenblut oder Dirschenblut, tritt seitdem als Tiroler Steinöl wieder aus den umliegenden Bergflanken hervor und gilt seit Menschengedenken als heilkräftig. Der damit zusammenhängende örtliche Wirtschaftszweig hat sich dementsprechend über viele Jahrhunderte gehalten, die Ölvorkommen werden seit Mitte des letzten Jahrhunderts aber nicht mehr ausgebeutet.

Auch der Durschkopf steht, die geneigte Leserin ahnt es sicherlich bereits, mit der Sage in Verbindung. Judith Jambor belegt in ihrem empfehlenswerten Buch „Die Bergnamen Tirols“ die Benennung des Gipfels über die Zeit: aus Tirschenkopf wurde über Turschkopf schließlich die heutige Bezeichnung Durschkopf. Es handelt sich also, schenkt man der Sage den nötigen Glauben, um den Sterbeort des Riesen Thyrsus.

Nomen est omen – das Holzköpfl ist dicht mit Latschen bestanden

Nach der Rückkehr in den Sattel beginne ich den Aufstieg zum Holzköpfl. Dieser beginnt mit einem schmalen, stellenweise nicht im besten Zustand befindlichen Steig. Mit nur geringen Steigungen, aber in steilem Gelände geht’s so immer weiter nach Osten. Immerhin weiß ich Dank der häuslichen Vorbereitung, dass irgendwann der Steig zum Holzköpfl linkerhand abzweigen muss. Der regelmäßige Blick auf den GPS-Punkt im Handy hilft ehrlich gesagt weiter, um nicht jede einzelne Latschengasse kritisch zu beäugen. Schließlich ist die ganze Sache dann doch deutlich einfacher als gedacht: der Abzweig ist mit Leuchtfarbe deutlich gekennzeichnet.

Bestens markiert geht es mitten durch die Latschen hindurch
Bestens markiert geht es mitten durch die Latschen hindurch

Die folgenden knapp 200 Höhenmeter sind überaus ereignisarm. Die Latschengassen sind zwar meistens gut zu gehen, zu sehen gibt’s aber fast nichts. Da macht das Holzköpfl selbst übrigens keine Ausnahme. Dieser Vorgipfel des Rauenkopfs ist keinen eigenständigen Besuch wert und macht seinem einfach zu verstehenden Namen alle Ehre: mit Ausnahme des Steigs ist der Gipfelbereich mehr oder weniger vollständig mit Latschen zugewachsen.

Nur Krummholz am Holzköpfl ...
Nur Krummholz am Holzköpfl …

Endlich ein wenig Aussicht am Rauenkopf

Ein kurzer Zwischenabstieg ist rasch absolviert, dann beginnt auch schon der Anstieg zum mit Abstand bedeutendsten Gipfel des heutigen Tages. Dabei zeigt sich die Südflanke des Rauenkopfs zunächst ebenfalls von ihrer latschenbewachsenen Seite, immerhin ändert sich das auf den letzten Metern zum Gipfel. Hier gibt es tatsächlich knapp unterhalb des höchsten Punkts zur Abwechslung eine einladende Wiese. Die Pause samt Brotzeit habe ich mir mittlerweile auch verdient. Die Aussicht ist ganz passabel, ganz besonders hat es mir dabei der Blick in die nähere Umgebung angetan: Reither Spitze, Freiungenspitzen und der Große Solstein wecken Erinnerungen an vergangene Touren!

Freiungen und Großer Solstein
Freiungen und Großer Solstein

Ein Blick auf die Uhr verrät mir aber schnell: wenn’s mit der frühen Rückfahrt klappen soll, dann muss ich mich wohl beeilen. Für die Rückkehr zum Bahnhof in Reith müssen 75 Minuten reichen. Eine kleine Herausforderung, denn etwa 900 Höhenmeter und 5 Kilometer muss ich dafür absteigen. Immerhin kenne ich den größten Teil des Abstiegswegs ab dem Schartlehnerhaus. Aber auf dem Weg dorthin leiste ich mir einen ordentlichen Verhauer in den Latschengassen, indem ich immer dem breitesten Steigspuren folge. Das ist heute ein Fehler, denn irgendwann muss ich mich unter Latschenästen durchhangeln – und erreiche wenig später endgültig das Ende einer Sackgasse. Etwas missmutig steige ich zurück zur letzten Verzweigung und stelle dabei fest, dass Grundschulmathematik bei Bergwanderungen helfen kann: eine Sackgasse wird zwei Mal begangen, der richtige Weg nur einmal. Kein Wunder, dass die in die Sackgasse hineinführenden Spuren deutlich ausgeprägter waren …

Der frühere Berggasthof Schartlehnerhaus ist längst geschlossen
Der frühere Berggasthof Schartlehnerhaus ist längst geschlossen

Immerhin erreiche ich kurz darauf das Schartlehnerhaus und somit wieder bekanntes Gelände. Orientierungsschwierigkeiten bleiben nun aus, allerdings zeigt sich der Steig im Abstieg als holpriger, als ich ihn von meinen Begehungen im Aufstieg in Erinnerung hatte. Der finale Spurt zum Bahnhof fällt somit nicht besonders gemütlich aus, zumal ich überflüssigerweise sogar eine Viertelstunde zu früh auf dem Bahnsteig stehe.

Fazit

Zugegeben, das Abklappern der südlichen Vorgipfel der Reither Spitze ist nur für leidenschaftliche Gipfelsammler von Relevanz. Immerhin hat der Rauenkopf einen guten und einsamen Rastplatz abgegeben und auch angemessen viel Aussicht geboten. Während über das Holzköpfl der Mantel des Schweigens zu hüllen ist, hat’s mir am Durschkopf an diesem Tag besonders gut gefallen. Der Zustieg ist einfach zu finden, der Einsamkeitsfaktor genauso hoch wie die Latschendichte niedrig – und natürlich macht die erwähnte Namensherkunft den Abstecher besonders interessant!

Tourendatum: 7. September 2024

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